In Belarus sind die Gegner des autoritär regierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko erneut zu Massenprotesten auf die Straßen gegangen. Laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax beteiligten sich am Sonntagnachmittag mehr als hunderttausend Menschen an einem Protestmarsch, der den "politischen Gefangenen" gewidmet war. Die Polizei setzte Wasserwerfer gegen die Demonstranten ein. Laut der Menschenrechtsgruppe Wjasna wurden in Minsk und anderen Städten mehr als hundert Menschen festgenommen.
Wie an den Sonntagen zuvor waren die Sicherheitskräfte mit einem massiven Aufgebot vor Ort, auch gepanzerte Fahrzeuge waren im Einsatz. Die Polizei schränkte zudem den Zugang zum Internet und zum Mobilfunk und den öffentlichen Nahverkehr ein, um den Zustrom von Demonstranten zu behindern. Nach Angaben einer Sprecherin des Innenministeriums kamen Wasserwerfer zum Einsatz und es gab Festnahmen, weitere Details wollte sie nicht nennen.
In sozialen Medien veröffentlichte Bilder und Videos zeigten große Menschenmassen in Minsk und Protestzüge zu einem Haftzentrum. Einige Demonstranten trugen Bilder, die Opfer von Polizeigewalt zeigten. Andere Demonstranten schwenkten die rot-weißen Fahnen der Opposition und trommelten.
"Lasst sie frei", riefen Demonstranten, nachdem sie das berüchtigte Gefängnis in der Okrestin-Straße erreicht hatten, das von einigen Belarussen auch "Folterkammer" genannt wird. Im dem Gefängnis sind mehrere Teilnehmer früherer Kundgebungen inhaftiert.
Die Demonstranten kommunizieren über den Oppositionskanal Nexta Live im Messengerdienst Telegram, der mittlerweile von über zwei Millionen Menschen abonniert wird.
Berichten des Oppositionskanals Nexta zufolge haben die belarussischen Behörden mehr als 250 Strafverfahren gegen Lukaschenkos Gegner, unter anderem Aktivisten und Blogger, eröffnet. "Die Behörden haben diese Menschen als Geiseln genommen", hieß es. "Wir haben sie nicht vergessen und fordern Freiheit für alle politischen Gefangenen!"
Nach Angaben der belarussischen Menschenrechtsorganisation Wjasna gibt es inzwischen 77 "politische Gefangene" in Belarus. Im Vorfeld der Proteste vom Sonntag hatten die Behörden allen ausländischen Journalisten die Akkreditierung entzogen, was eine Berichterstattung über die Aktionen der Opposition zusätzlich erschwert.
Zahlreiche Belarussen erhielten in den vergangenen Tagen Textnachrichten vom Innenministerium, in denen sie vor einer Teilnahme an nicht genehmigten Versammlungen gewarnt wurden. "Macht keinen Fehler", hieß es darin.
Die jüngsten Demonstrationen erfolgen wenige Tage nach der Verhängung von Sanktionen durch Brüssel und Washington gegen Regierungs- und Behördenvertreter des Landes. Die EU sanktionierte am Freitag rund 40 belarussische Beamte, darunter der Innenminister, seine Stellvertreter, Polizeibeamte, Richter und Leiter von Haftanstalten.
Als Reaktion darauf gab Belarus bekannt, dass es eine eigene Liste an sanktionierten europäischen Beamten erstellt habe, ohne die Namen der Betroffenen preiszugeben.
Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 9. August demonstrieren die Belarussen jedes Wochenende zu Zehntausenden gegen den seit 26 Jahren regierenden Lukaschenko. Sie werfen ihm Wahlfälschung vor und fordern Neuwahlen. Nach ihrer Überzeugung war die inzwischen ins Exil geflohene Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja die wahre Siegerin der Wahl.
Tichanowskaja sucht derweil den Kontakt zu westlichen Führungskräften wie dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Am Dienstag will sie in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel treffen.
by STRINGER