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Hunderttausend Menschen demonstrieren in Minsk erneut gegen Präsident Lukaschenko

Festnahmen und Vorgehen gegen Medien - AA will Botschafter "zeitnah" einbestellen

Trotz eines Großaufgebots von Polizei und Armee sind in Belarus erneut etwa hunderttausend Menschen gegen den autoritären Staatschef Alexander Lukaschenko auf die Straße gegangen. Das Zentrum von Minsk war am Sonntag voller Menschen, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP sowie örtliche Medien berichteten. Es gab offziell etwa 140 Festnahmen. Wegen Repressionen gegen Medienvertreter will das Auswärtige Amt in Berlin Diplomatenkreisen zufolge "zeitnah" den belarussischen Botschafter einbestellen.

Nach Einschätzung von AFP-Reportern und örtlicher Medien entsprach die Teilnehmerzahl am Sonntag denen der Protesten an den zwei vorherigen Sonntagen, als ebenfalls etwa 100.000 Menschen in Minsk zusammengeströmt waren. Die Demonstranten schwenkten die rot-weißen Fahnen der Opposition und skandierten Richtung Lukaschenko Parolen wie "Tritt ab".

Ein Großaufgebot an Bereitschaftspolizisten sowie vermummten und bewaffneten Soldaten war unter anderem mit gepanzerten Fahrzeugen im Einsatz. Die Sicherheitskräfte hinderten mehrere Protestzüge daran, sich im Stadtzentrum zu vereinen. Auf Hausdächern waren Scharfschützen zu sehen.

Bereits zu Beginn der Demonstrationen gab es an verschiedenen Orten der Innenstadt Festnahmen, wie ein AFP-Journalist berichtete. Das Innenministerium sprach laut russischen Nachrichtenagenturen von 140 Festnahmen. Die Ermittlungsbehörden kündigten die Eröffnung von fast 150 Verfahren wegen "Drohungen" und "Vandalismus" an. Anders als bei vorherigen Großkundgebungen kamen aber keine Blendgranaten, Gummigeschosse oder Tränengas zum Einsatz.

Ein Präsidentenberater trat vor die Demonstranten, lehnte aber jeden direkten Dialog mit der Opposition ab. Lukaschenkos Pressestelle veröffentlichte erneut ein Foto des Präsidenten mit kugelsicherer Weste und Sturmgewehr.

Laut Medien und Online-Netzwerken demonstrierten auch in anderen Städten wie Brest oder Grodno tausende Menschen gegen die Regierung.

Seit dem 9. August wird in Belarus täglich für ein Ende der seit 26 Jahren währenden Herrschaft Lukaschenkos demonstriert. Am Samstag gingen rund tausend Frauen in der Hauptstadt auf die Straße, um Neuwahlen und die juristische Verfolgung von gewalttätigen Sicherheitskräften zu fordern.

Im Vorfeld der neuen Proteste am Sonntag entzogen die belarussischen Behörden einigen Medienvertretern die Akkreditierung. Davon waren unter anderem Mitarbeiter von großen internationalen Medien wie AFP, AP, BBC und Radio Liberty sowie ein Kamerateam der ARD betroffen.

AFP-Chefredakteur Phil Chetwynd sowie ARD, AP und BBC verurteilten das Vorgehen der belarussischen Behörden. Deutschland und die USA legten Protest ein. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sprach in einer Erklärung vom Samstagabend von einer Behinderung der Pressefreiheit, die "nicht akzeptabel" sei. Aus Diplomatenkreisen hieß es, der belarussische Botschafter in Berlin werde "zeitnah ins Auswärtige Amt einbestellt".

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) erklärte, Deutschland habe wegen seines gegenwärtigen EU-Ratsvorsitzes eine besondere Verantwortung, "dem Regime von Alexander Lukaschenko eine deutliche Antwort auf die Verfolgung von Journalisten, Oppositionellen und Kritikern zu geben".

Die Protestbewegung in Belarus wirft der Regierung massiven Betrug bei der Präsidentschaftswahl vor, die Lukaschenko nach offiziellen Angaben mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Auch die EU erkennt das Wahlergebnis nicht an. Wegen der Gewalt gegen friedliche Demonstranten bei Protesten, in deren Zuge bereits rund 7000 Menschen festgenommen wurden, brachten die EU-Außenminister Sanktionen auf den Weg.

Lukaschenko setzt in der Krise auf Unterstützung durch Russlands Staatschef Wladimir Putin, gegebenenfalls auch mit einem Militäreinsatz gegen die oppositionellen Demonstranten. Putin telefonierte am Sonntag mit Lukaschenko, um ihm zum 66. Geburtstag zu gratulieren. Der russische Präsident versprach "die Stärkung des russisch-belarussischen Bündnisses", wie der Kreml mitteilte.

by Von Tatiana KALINOVSKAYA