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Historischer Prozess in Schweden gegen Iraner wegen Massenhinrichtungen 1988

Nuri wird Beteiligung an Tötung tausender Iraner unter Khomeini vorgeworfen

In einem historischen Prozess in Schweden steht seit Dienstag der Iraner Hamid Nuri wegen seiner mutmaßlichen Beteiligung an Massenhinrichtungen von Oppositionellen im Iran 1988 vor Gericht. Einer seiner Anwälte wies die Vorwürfe des "Mordes" und der "Kriegsverbrechen" zurück. Vor dem Gericht demonstrierten hunderte Menschen und forderten Gerechtigkeit für tausende im Iran getötete Gefangene. Der Prozess dürfte die Spannungen mit dem Iran weiter anheizen.

Staatsanwältin Kristina Lindhoff Carleson verlas die Anklageschrift, wonach Nuri "eine sehr große Zahl von gefangenen Unterstützern oder Angehörigen der Mudschahedin vorsätzlich tötete". Die Vorwürfe beziehen sich auf den Zeitraum zwischen dem 30. Juli und dem 16. August 1988, als Nuri im Gefängnis Gohardascht in Karadsch westlich von Teheran Assistent des stellvertretenden Staatsanwalts war. In der Schlussphase des Iran-Irak-Krieges (1980-1988) wurden landesweit tausende Iraner hingerichtet.

Nach Angaben der schwedischen Staatsanwaltschaft erfolgten die Hinrichtungen auf Befehl von Revolutionsführer Ayatollah Khomeini, dem Gründer der Islamischen Republik, und richteten sich vor allem gegen Angehörige der Volksmudschahedin. Khomeini reagierte damit auf Angriffe des bewaffneten Arms der Mudschahedin auf die Staatsführung.

Die Demonstranten vor dem Gericht forderten, auch den erst kürzlich vereidigten iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi zur Rechenschaft zu ziehen. Menschenrechtsorganisationen werfen ihm vor, ebenfalls an den Massenhinrichtungen beteiligt gewesen zu sein, weshalb das Thema im Iran politisch äußerst heikel ist. Im Mai hatten mehr als 150 Persönlichkeiten, darunter Menschenrechtsaktivisten, Nobelpreisträger, ehemalige Staats- und Regierungschefs sowie UN-Vertreter, eine internationale Untersuchung zu den Hinrichtungen von 1988 gefordert.

Nuri erschien am Dienstag entspannt und lächelnd und in Begleitung zweier Anwälte in dem Stockholmer Bezirksgericht. Sein Verteidiger Daniel Marcus wies die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zurück.

Nach dem Weltrechtsprinzip kann Nuri wegen schwerwiegender Vorwürfe wie "Mord" und "Kriegsverbrechen" auch in Schweden der Prozess gemacht werden, auch wenn die mutmaßlichen Taten in einem anderen Land verübt wurden. Eine Sprecherin des Stockholmer Gerichts nannte den Fall eine Premiere in der Geschichte beider Länder. Für diese Woche sind an drei Tagen Anhörungen angesetzt, der Prozess soll bis April 2022 laufen.

Mehrere hundert Demonstranten, unter ihnen vor allem Anhänger der Volksmudschahedin, versammelten sich vor dem Gerichtsgebäude. Sie hielten Fotos der getöteten iranischen Häftlinge in die Höhe und forderten Gerechtigkeit für die schätzungsweise 5000 Opfer.

"Dies ist das erste Mal, dass einer der Verantwortlichen in einem anderen Land zur Rechenschaft gezogen wird", sagte Iraj Mesdaghi, der zu einer Gruppe von 30 Klägern gehört. Der Aktivist und ehemalige politische Gefangene im Iran legte eine "mehrere tausend Seiten" umfassende Mappe mit Beweisen an und lockte Nuri, der Verwandte in Schweden hat, mit dem Angebot einer Kreuzfahrt in das skandinavische Land. Bei der Einreise im November 2019 wurde Nuri am Stockholmer Flughafen festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.

by Stefan JERREVANG