Anekdoten seines Lebens
Es ist eine interessante Mischung, die Günter Netzer (75) seit jeher in sich vereint. Einerseits das gesunde Maß an sich Selbst(über)schätzung: “Wäre ich vom Fußball so besessen wie Wolfgang Overath gewesen, dann wäre ich besser als Pele geworden.” Andererseits stoisches Kleinreden seiner Verdienste – wenn auch versteckt in Eigenlob: “Ich kann sehr, sehr gut delegieren; das hat damit zu tun, dass ich am liebsten faul bin. Es ist eine große Kunst, bessere Menschen um sich haben.”
Ob er damit auch Gerhard Delling (60) meinte? Anlässlich Netzers 75. Geburtstags am 14. September hier einige Anekdoten über den “König von Gladbach”, dessen Zweischneidigkeit sich bis heute durch sämtliche Lebenslagen zu ziehen scheint.
So etwa bei den zwei großen Stationen seiner Fußball-Karriere. Im Alter von neun Jahren stieß Netzer zu Borussia Mönchengladbach und unterschrieb schließlich mit 19 (1963) seinen Profivertrag beim damaligen Regionalligisten. In den folgenden Jahren reifte er zum “König von Mönchengladbach” und sein Verein zum ersten Titelverteidiger der deutschen Meisterschaft überhaupt. Doch dann wurde sein Wechsel zu Real Madrid bekannt.
Vom König wurde Netzer über Nacht “fast schon zur persona non grata”, wie es Fußballreporter Marcel Reif (69) in einer Doku ausdrückte. “Netzer war schon mit Madrid einig und das ging nicht, das war Verrat an der heiligen Borussia – und deswegen musste er auf die Bank.” In seinem allerletzten Spiel für die Fohlen, um genau zu sein.
Doch wo die Neymars dieser Welt heutzutage wohl ihren Unmut mit Tobsuchts-Emojis bei Instagram zum Ausdruck bringen würden, wechselte sich Netzer im DFB-Pokal beim Stand von 1:1 gegen den Erzrivalen Köln einfach selbst ein. Er drosch den Ball kurze Zeit später humorlos zum 2:1-Siegtreffer in die Maschen und durfte so doch wieder als Held den Verein verlassen.
Seine wallende Mähne in schnittigen Sportautos, dazu die Eröffnung seiner eigenen Disko “Lovers Lane” 1971 – natürlich hatte Netzer umgehend den Ruf als Lebemann, als Playboy inne. Ein völlig falscher Eindruck, wie er bis heute nicht müde wird zu betonen. “Über das Bild, das man lange Jahre von mir hatte – Achtundsechziger, lange Haare, Rebell – habe ich immer nur schmunzeln können. Ich war und bin irgendwie ein Spießer”, so Netzer im “Zeit”-Interview von 2004.
Die eigene Disse, ein Ort für unbeschwerten Spaß und ausgelassenen Kontrollverlust – für Spießer Netzer schlichtweg eine clevere Investition in Zeiten, in denen Fußballer noch nicht jeden Monat mehrfache Millionäre wurden.
Doch genau das ist der Punkt – Netzer kokettiert gerne mit der öffentlichen Wahrnehmung bezüglich seiner Person. Natürlich muss in diesem Hinblick auch seine unverwechselbare Beziehung zu Gerhard Delling angesprochen werden. Eine, in der so unfassbare Weisheiten wie diese Netzers Mund verließen: “Die meisten Spiele, die 1:0 ausgingen, wurden gewonnen.”
Als geliebte TV-Feinde traten die beiden auf – Netzer als Schmalspur-Kinski zu Dellings Werner Herzog. 13 Jahre lang sollten sie sich vor den ARD-Kameras wie ein altes Ehepaar und für die Zuschauer ausgesprochen unterhaltsam kabbeln. Mit Sprüchen wie “Ihr Pseudowissen ist hier nicht gefragt!”, wies Netzer sein Gegenüber gerne in die fußballfernen Schranken. Der konterte keck mit Retourkutschen der Marke: “Sie sind der Experte – Betonung liegt auf Ex.” Da war Netzer erstmal baff.
Wie sehr die beiden ihre vermeintliche Sportstudio-Fehde für die Kameras kultiviert hatten, blitzte immer wieder durch, wenn etwas Unvorhergesehenes passierte. Das stete Tröten der Vuvuzelas bei der WM 2010 in Südafrika etwa versetzte die beiden in einen charmanten Lachanfall. Und den letzten Schluck seiner Cola schenkte Delling einst auch dem “Miesepeter” neben sich ein. “Ich will gar nichts”, beschwerte der sich dabei noch. “Nun nehm’ Sie schon”, erwiderte Delling bestimmend. Eine Szene wie aus einem Loriot-Sketch.
Auch im Privatleben siezen sich die beiden, sind aber ungleich inniger als es angesichts ihrer TV-Gefechte zwischen 1997 und 2010 den Anschein haben könnte. Netzer ist Dellings Trauzeuge und einer seiner wenigen Freunde, wie er vor Jahren im bereits erwähnten “Zeit”-Interview mit dem treffenden Titel “Die Siezfreunde” verraten hat. “Freundschaft verlangt mir ein Maximum an Höchstleistungen ab”, reihte Netzer im Doppelgespräch mit Delling Superlative aneinander, als er über seinen guten, ja vielleicht besten Freund redete. Und im Gegensatz zum Privat- und Berufsleben eines Günter Netzers kann beste Freunde nun wirklich niemand trennen.
(stk/spot)