Mit einem zweiten Sondierungstreffen im erweiterten Kreis haben Grüne und FDP am Freitag das wechselseitige Abtasten mit Blick auf eine gemeinsame Regierungsbildung fortgesetzt. Von einem Austausch "in guter Atmosphäre" sprach anschließend FDP-Chef Christian Lindner, vom Ziel, "einen Aufbruch gemeinsam zu schaffen", Grünen-Chefin Annalena Baerbock. SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz bekräftigte gegenüber dem "Wir" seinen Anspruch, als Kanzler die nächste Regierung führen zu wollen.
Lindner betonte nach dem Treffen mit den Grünen die "große gemeinsame Verantwortung" beider Parteien. Man müsse sehen, dass diese beide "für Veränderung stehen, aber nicht notwendigerweise für die gleichen Veränderungen", sagte allerdings der Grünen-Ko-Vorsitzende Robert Habeck. Beispielsweise bei den Themen Klimaschutz und Finanzen gebe es "zweifelsohne Unterschiede".
Nun gehe es darum, "welche Brücken gebaut werden können", sagte Habeck weiter nach dem Treffen von jeweils zehn Vertreterinnen und Vertretern beider Parteien. Dafür sei ein guter gemeinsamer Anfang entscheidend: "Wenn man die Schraube schräg einsetzt, wird sie nie wieder gerade", warnte der Grünen-Chef.
Die Wählerinnen und Wähler hätten sich "gegen den Status Quo" entschieden, betonte Lindner. Grüne und FDP fühlten sich gemeinsam beauftragt, "in Deutschland einen neuen Aufbruch zu organisieren". Zu inhaltlichen Fragen wollten sie die Beteiligten ausdrücklich nicht äußern. Sie seien sich einig, die Gespräche weiterhin vertraulich zu führen und keine "Wasserstandsmeldungen" abzugeben, sagte Lindner.
Beide Parteien wollen nun am Sonntag und am Dienstag zunächst Sondierungsgespräche mit SPD und CDU/CSU führen. Rechnerisch möglich sind sowohl eine Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP als auch ein Jamaika-Bündnis unter Führung der Union.
Scholz hob hervor, er setze auf ein von Vertrauen geprägtes Miteinander in der von ihm angestrebten neuen Regierung. "Echte Zuneigung entsteht, wenn man sich ernsthaft aufeinander einlässt", sagte er dem "Wir". "Man muss als Koalition mit dem Anspruch antreten, bei den nächsten Wahlen wiedergewählt zu werden." Das werde "nur funktionieren, wenn sich alle Koalitionspartner in der gemeinsamen Regierung mit ihren Vorstellungen wiederfinden".
Die SPD war bei der Bundestagswahl stärkste Kraft geworden. Daher bekräftigte Scholz, er wolle als neuer Bundeskanzler eine Koalition mit Grünen und FDP bilden. Den Bemühungen der Union und ihres Kanzlerkandidaten Armin Laschet, trotz ihrer Wahlniederlage eine Jamaika-Koalition unter ihrer Führung mit Grünen und FDP zu bilden, erteilte Scholz eine klare Absage: "Das Wahlergebnis ist eindeutig. CDU und CSU haben eine historische Niederlage eingefahren und sind abgewählt", sagte er dem "Wir".
Die SPD habe vom Wähler "den klaren Auftrag" erhalten, "eine Regierung unter Führung eines Kanzlers Olaf Scholz zu bilden", sagte auch SPD-Parteichef Norbert Walter-Borjans der "Passauer Neuen Presse". Als wichtige inhaltliche Punkte nannte er in RTL und ntv eine gute Infrastruktur in Deutschland, bessere Bildung und mehr Klimaschutz, aber in Verbindung mit einem "sozialen Element".
"Wir sind bereit zu Jamaika", bekräftigte dagegen CSU-Generalsekretär Markus Blume nach Beratungen der CSU-Spitze in München. Umfragen von Infratest dimap sowie der Forschungsgruppe Wahlen für ARD und ZDF zufolge befürwortet allerdings eine klare Mehrheit der Bevölkerung eine Ampel-Koalition unter Führung der SPD.
by John MACDOUGALL