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Grüne beschließen klareres Bekenntnis zur 1,5-Grad-Grenze bei der Erderwärmung

Parteichef Habeck bekräftigt Machtanspruch der Grünen

Die Grünen haben auf ihrem digitalen Parteitag ihre Kontroverse über die Zielmarke bei der Begrenzung der Erderwärmung beigelegt. In dem am Samstag beschlossenen entsprechenden Kapitel des neuen Grundsatzprogramms bekennt sich die Partei klarer zur 1,5-Grad-Grenze. Parteichef Robert Habeck bekräftigte in seiner Rede den Machtanspruch der Grünen: "Erstmals kämpft eine dritte Partei ernsthaft um die Führung dieses Landes."

"Zentrale Grundlage unserer Politik ist das Klimaabkommen von Paris sowie der Bericht des Weltklimarates zum 1,5-Grad-Limit", heißt es nun in dem Kapitel "Lebensgrundlagen schützen". "Es ist daher notwendig, auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen." Entscheidend sei unmittelbares und substanzielles Handeln in den nächsten Jahren.

Zuvor hatten Vertreter der Umweltbewegung an die Grünen appelliert, sich klarer zur 1,5-Grad-Grenze zu bekennen. Im ursprünglichen Entwurf für das Grundsatzprogramm hatte es geheißen, gemäß dem Pariser Klimaabkommen solle die Erderhitzung "auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden".

Die Umweltaktivistin Luisa Neubauer von "Fridays for Future" begrüßte die Änderung. "Die Grünen haben auf Druck von breiten gesellschaftlichen Bündnissen heute einen wichtigen Schritt gemacht", twitterte sie.

In dem beschlossenen Kapitel bekräftigen die Grünen die Forderung nach 100 Prozent erneuerbaren Energien, verbunden mit dem Ausstieg aus allen fossilen Ressourcen. Die Landwirtschaft soll ökologisch umgebaut werden, im öffentlichen Verkehr sollen die Schiene gestärkt sowie mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger geschaffen werden.

Keine Mehrheit fand ein Änderungsantrag, ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen und 30 Stundenkilometern innerorts auch im Grundsatzprogramm zu verankern. Die Grünen hatten bereits angekündigt, im Fall einer Regierungsbeteiligung nach der Bundestagswahl möglichst rasch ein Tempo 130 auf deutschen Autobahnen durchsetzen zu wollen.

Am Samstag stand zudem das ebenfalls kontrovers diskutierte Thema direkte Demokratie auf der Tagesordnung des Parteitags. Habeck sprach sich im Vorfeld gegen Volksabstimmungen auf Bundesebene aus. "Der Brexit ist durch eine Volksabstimmung ausgelöst worden, Europas Verfassung ist durch sie verhindert worden", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

"Die Frage ist doch, welches Problem eine bundesweite Volksabstimmung löst", sagte Habeck. Er plädierte für das Modell von "Bürgerräten", die Parlamenten Vorschläge zu konkreten Fragen vorlegen sollten.

In seiner Rede auf dem Parteitag begründete Habeck den Führungsanspruch damit, dass sich die Grünen "den Aufgaben der neuen Zeit stellen" müssten, die aktuelle Regierung sei in einem "Dauer-Reparaturmodus". Habeck betonte, dass seine Partei "für die ganze Gesellschaft arbeitet".

Der Kampf um die Führung des Landes sei "ein hoher Anspruch, ein kühner, vielleicht frecher", sagte Habeck in seiner Rede, die die digital zugeschalteten gut 800 Delegierten verfolgten. Macht sei im Kosmos der Grünen "oft ein Igitt-Begriff gewesen", sagte Habeck. "Aber Macht kommt ja von machen."

In seiner Rede prangerte Habeck auch Versäumnisse im Umgang mit der Corona-Krise an und zog Vergleiche zur Klimapolitik: "Wenn wir die Klimakrise eskalieren lassen, wie die Corona-Krise, dann haben wir als politische Generation versagt." Noch heiße es, Klimaschutz gefährde wirtschaftlichen Erfolg. "Dabei wird es nur mit und durch Klimaschutz in Zukunft noch wirtschaftlichen Erfolg und Wohlstand überhaupt geben", sagte Habeck.

by Kay Nietfeld