Anlässlich der entscheidenden Beratungen über das neue Infektionsschutzgesetz haben Vertreter der großen Koalition die Neuregelung verteidigt. "Das Virus ist dynamisch, daher müssen wir es auch sein", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Bundestag. SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas wandte sich gegen Befürchtungen, der Handlungsspielraum der Regierungen werde ausgeweitet. Bei einer Demonstration gegen die Neuregelung kam es zu Auseinandersetzungen von Teilnehmern mit der Polizei.
Das neue Infektionsschutzgesetz, über das neben dem Bundestag am Mittwoch auch der Bundesrat in einer Sondersitzung entscheiden soll, sieht konkrete Vorgaben für die vor allem von den Ländern verhängten Corona-Maßnahmen vor. Die Einschränkungen sollen damit besser vor den Gerichten Bestand haben. Das Gesetz soll am Mittwoch auch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnet werden damit es bereits am Donnerstag in Kraft treten kann.
"Wir haben Tritt gefasst, das exponentielle Wachstum ist gestoppt", sagte Spahn im Bundestag zur Corona-Pandemie. "Aber wir sind noch nicht über den Berg." Es gehe nunmehr darum, weiter gut durch die Krise zu kommen.
Bas betonte, bisher könnten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung auf Grundlage einer "Generalklausel" in Kraft gesetzt werden. Künftig gebe es einen konkreten Katalog möglicher Beschränkungen.
Es handele sich um ein "gutes Gesetz", dass zudem "dringend notwendig" sei, sagte auch die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag (CDU). Sie verwies unter anderem auf die vorgesehenen Regelungen für künftige Impfungen gegen das Coronavirus.
Sie habe es "noch nie erlebt, dass ein Gesetz so missverstanden wurde", beklagte Maag zugleich. "Wir weiten gerade nicht den Handlungsspielraum der Regierung aus, sondern engen ihn ein." Nur wenn der Bundestag feststelle, dass eine epidemische Lage von nationaler Tragweite bestehe, könne laut dem Gesetzentwurf die Exekutive bestimmte Maßnahmen anordnen, betonte Maag.
Linke und FDP wandten sich gegen die Vorlage der großen Koalition. FDP-Fraktionschef Christian Lindner sprach von einer "Aufzählung von Freiheitseinschränkungen", deren Anordnung nicht einmal an konkrete Situationen gebunden sei. "Der Entwurf gibt keine Leitplanken vor, sondern stellt im Gegenteil den Regierenden einen Freifahrschein aus."
Auf Widersprüche bei den angeordneten Schutzmaßnahmen verwies der Linken-Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte. "Auf der einen Seite gibt es Kontaktbeschränkungen, auf der andern Seite gibt es allen ernstes verkaufsoffene Sonntage", kritisierte er. Es gebe Milliarden für die Lufthansa, aber kein Geld für Luftfilter an Schulen.
Am Brandenburger Tor nahe dem Reichstagsgebäude demonstrierten mehrere tausend Menschen gegen die Corona-Maßnahmen und gegen das neue Gesetz. Nach erfolglosen Aufrufen zum Einhalten von Maskenpflicht und Abstandsregeln versuchte die Polizei am Mittwoch, die genehmigte Demonstration auch mit dem Einsatz von Wasserwerfern aufzulösen. Dazu wurde auch Pfefferspray eingesetzt. Einige Demonstranten attackierten Polizisten.
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland kritisierte das Vorgehen der Polizei und verteidigte die Proteste. Die Demonstranten träten für ihre Grundrechte ein und sollten nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden, sagte Gauland in der Bundestagsdebatte. Er warnte in diesem Zusammenhang vor einer angeblichen "Gesundheitsdiktatur".
by Tobias SCHWARZ