“Person des Jahres” 2019
Sie ist 16 und wird Anfang Januar 17. “Ein Kind”, sagt sie selbst von sich. Eine Frau, meinen etliche Organisationen – und haben die kleine Schwedin (1,53 Meter) zur “Frau des Jahres” gewählt. Die Grundschülerin ist Ehrendoktorin der belgischen Universität Mons und Trägerin des Alternativen Nobelpreises. Das US-Magazin “Time” hat sie zur “Person des Jahres” 2019 ernannt. Greta Thunberg hat den Bekanntheitsgrad eines Popstars oder einer Spitzenpolitikerin. Und das entsprechende Arbeitspensum.
Im Laufe des Jahres hatte sie Auftritte vor dem britischen Parlament, beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos, beim UN-Klimagipfel und bei der aktuellen Klimaschutzkonferenz in Madrid. Sie sprach mit dem Papst in Rom und mit Spitzenpolitikern u.a. in New York, London, Brüssel. Beim Treffen mit EU-Abgeordneten in Straßburg trug sie Zöpfchen wie Pipi Langstrumpf. Wie schafft das dieses zarte Mädchen, das so viel Kraft zu entwickeln vermag? Hat sie Helfer im Hintergrund?
Hinter Greta Thunberg stehen ihre Eltern, wie es scheint bedingungslos. Beide sind in Schweden seit Jahren keine Unbekannten. Vater Svante Thunberg (50) ist ein bekannter Schauspieler, Produzent und Drehbuchautor. Außerdem managt er seine Ehefrau, die Opernsängerin Sara Malena Ernman (49). Sie ist Mitglied der Königlich Schwedischen Musikakademie und arbeitete international mit Größen wie Daniel Barenboim (77) und Nikolaus Harnoncourt (1929-2016).
Dem breiteren Publikum wurde Malena Ernman durch eine herzzerreißende Geschichte bekannt. Als sie während ihrer beruflichen Tätigkeit drei Mal zusammen gebrochen war und mehrere Aufführungen absagen musste, schilderte sie der bekannten schwedischen Zeitung “Expressen” den Grund für ihre Ausfälle: Die kleine Tochter Greta war am Asperger Syndrom erkrankt, einer milderen Form von Autismus. Das elfjährige Kind hatte plötzlich aufgehört zu sprechen, zu lesen, zu essen. So wurde Greta landesweit bekannt. Das war vor über fünf Jahren.
Die gesundheitliche Krise ist mittlerweile überwunden, doch Greta ist keineswegs in Vergessenheit geraten. Seit Anfang 2018 demonstrierte sie mit einem riesigen Schild, auf dem “Skolstrejk för Klimatet” (“Schulstreik für das Klima”) stand, jeden Freitag vor dem schwedischen Reichstag in ihrer Heimatstadt Stockholm. Bei Sonne, Nebel, Regen oder in der skandinavischen Kälte. Dafür verpasste Greta jeden Freitag die Schule.
Sie stand bald nicht mehr allein da. Ihr Beispiel wurde Vorbild und Greta zum Symbol der weltweiten Klimaschutz-Bewegung “Fridays for Future.” Mehr noch: Greta ist die Ikone des Klimaschutzes, von ihren Anhängern abgöttisch geliebt, von den Gegnern gehasst. Sie ist unermüdlich und weltweit im Einsatz. Wie schafft sie das?
“Es ist sehr anstrengend”, sagte sie im Interview mit “Spiegel Online”. “Ich bin es nicht gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Normalerweise bin ich das stille Mädchen, das ganz hinten sitzt. Aber von einem Tag auf den anderen wollen nun viele Menschen mit mir sprechen und Selfies mit mir machen. Das überwältigt mich manchmal.”
Ihre druckreifen Statements und Reden schreibt sie selbst. Die Manuskripte werden von mehreren Beratern redigiert, u.a. vom hochrangigen Klimaforscher Kevin Anderson (57), Professor für Klimawandel und Energie an den Universitäten Manchester und Uppsala. Anderson sagte in einem “Spiegel”-Interview: “Was Sie aus dem Mund von Greta Thunberg hören, ist das, worüber Greta Thunberg nachdenkt und was sie dann aufschreibt. Sie ist nicht das Sprachrohr ihrer Eltern, einer PR-Kampagne oder von uns Wissenschaftlern.”
Der schwedische Wirtschaftsjournalist Andreas Henriksson erklärte vor einiger Zeit gegenüber “Focus Online” das Phänomen Greta Thunberg: “Sie ist kein PR-Produkt. Sie glaubt wirklich an das, was sie macht. Sie ist sie selbst. Sie ist ein Phänomen. Ich berichte seit vielen Jahren über die PR-Branche und so etwas habe ich noch nie erlebt: Eine normales 15-jähriges Mädchen, welches innerhalb von wenigen Wochen zu einem internationalen Superstar wird. Sie ist faszinierend, sie hat eine Verbindung zu den Menschen.”
Bei ihren Reisen nimmt sie Bus, Bahn und E-Autos. Das Flugzeug lehnt sie strikt ab. Die Reisen in die USA unternahm sie mit dem Segelboot. Beide Male wurde sie zur Atlantiküberquerung eingeladen. Und der Vater ist immer dabei. Die Kosten für diese Reisen kommen aus den Spenden-Etats der “Fridays for Future”-Bewegung. Außerdem hat die Familie Thunberg gemeinsam ein erfolgreiches Buch geschrieben. “Szenen aus dem Herzen. Unser Leben für das Klima” wurde zu einem Bestseller, die Honorare fließen auch in die Kostenfinanzierung von Greta Thunberg.
Ihr weltweites Engagement hat ihr Leben nicht einfacher gemacht. In einem Interview mit dem schwedischen “Dagens Hyheter” sagt sie: “Es gibt Menschen, die mir ihre Drohungen und ihren Hass mitteilen. Manche tun das gegenüber meiner ganzen Familie und einige sogar nur gegen sie. Der Unterschied zwischen mir und den Menschen, die Zuhause bleiben mussten, liegt darin, dass ich immer unterwegs bin. Immer unerreichbar. Die Leute wissen nicht, wo ich bleibe, wo ich schlafe, wo ich bin. Ich habe keinen Alltag. Aber meine Schwester, die versucht Zuhause einen Alltag zu führen…sie ist ein so viel leichteres Ziel.”
(ln/spot)