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Gericht: TÜV muss Opfer im Brustimplantate-Skandal entschädigen

Forderung von gut 40 Millionen Euro im Berufungsverfahren bestätigt

Im Skandal um minderwertige Brustimplantate des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) hat ein französisches Gericht eine Schadenersatzforderung in Höhe von mehr als 40 Millionen Euro gegen den TÜV Rheinland bestätigt. Das Berufungsgericht in der südfranzösischen Stadt Aix-en-Provence gab am Donnerstag der Klage von rund 13.500 Frauen gegen den Überwachungsverein statt. Der TÜV prüft nach eigenen Angaben Rechtsmittel gegen das Urteil.

Nach Überzeugung des Gerichts hätte der TÜV als Prüfstelle die Mängel der Silikonkissen erkennen können. Es habe einen "deutlichen Widerspruch" zwischen der Menge des Gels und der Zahl der durch PIP produzierten Brustprothesen gegeben, heißt es in der Urteilsbegründung.

Die Vorinstanz hatte den TÜV zur Zahlung von 60 Millionen Euro an rund 20.000 Frauen verurteilt, nachdem das Handelsgericht im südfranzösischen Toulon den Schadenersatz 2017 erstmals festgelegt hatte. Dagegen legte der TÜV Rechtsmittel ein.

Teilweise mit Erfolg: Das Berufungsgericht urteilte nun, gut 6200 der teils aus Südamerika stammenden Frauen hätten nicht nachweisen können, dass sie die vom TÜV zertifizierten Prothesen getragen hätten. Sie müssen die rund 3000 Euro, die sie jeweils vom Überwachungsverein erhalten haben, nun theoretisch zurückzahlen.

Ein Opferanwalt äußerte sich dennoch hoch zufrieden über das Urteil. Es bereite nach einem rund zehnjährigen Rechtsstreit "den Weg für eine Entschädigung von Opfern in aller Welt", betonte der Vertreter der Organisation Pipa, die mehr als 20.000 Frauen in verschiedenen Verfahren vertritt.

Die TÜV-Anwältin Christelle Coslin erklärte dagegen, die Entscheidung stehe "im Widerspruch zu einer langen Reihe von bisher zugunsten von TÜV Rheinland getroffenen Gerichts- und Behördenentscheidungen". Der Überwachungsverein habe "verantwortungsvoll und im Einklang mit allen geltenden Vorschriften" gehandelt.

Der TÜV sieht sich selbst als "Opfer des Betrugs" durch den Hersteller PIP, wie Coslin im September zu Beginn des Berufungsverfahrens gesagt hatte. PIP-Gründer Jean-Claude Mas starb 2019, seine Firma ist pleite. "Weil PIP zahlungsunfähig ist, wird nun gegen den TÜV vorgegangen", betonte die Anwältin.

In dem PIP-Skandal trugen weltweit rund 400.000 Frauen gesundheitliche Schäden davon, auch in Deutschland waren tausende betroffen. Die Affäre flog 2010 auf: Damals stellte die französische Behörde für Medikamentensicherheit (ANSM) erstmals fest, dass die PIP-Brustimplantate überdurchschnittlich oft rissen und nur mit billigem Industrie-Silikon gefüllt waren. Von 2001 bis 2010 hatte PIP weltweit rund eine Million dieser minderwertigen Implantate verkauft.

In dem Fall gab es bereits eine ganze Reihe von Prozessen gegen den TÜV Rheinland. In Deutschland urteilte der Bundesgerichtshof im Februar 2020, eine Haftung des Überwachungsvereins komme zumindest theoretisch in Betracht.

Auch in Frankreich gibt es mehrere Verfahrensstränge. So befasst sich seit November auch das Pariser Berufungsgericht mit der Frage einer Mitverantwortung des TÜV in dem Skandal. Dabei geht es um die Klage von sechs Vertreibern der Prothesen. Das Urteil wird am 20. Mai erwartet. Das Berufungsgericht Versailles hatte im Januar dagegen zu Gunsten des TÜVs entschieden und die Klage von rund 400 Frauen abgewiesen.

by Von Sandra LAFFONT