Franz Beckenbauer ("Meine Gegner. Meine Freunde. Stationen einer Karriere") wird am 11. September 2020 75 Jahre alt - und alle werden ihm gratulieren wollen. Doch wird es sich anders anfühlen als in den Jahren davor. Auch anders als an seinem 70. Geburtstag. Der "Kaiser" ist nicht mehr der alte. Das Bild von ihm leuchtet nicht mehr so unvergleichlich.
Rein äußerlich hat er sich gar nicht mal so sehr verändert. Sein Lächeln ist noch genauso freundlich wie ehedem, das Haar ist schütterer und ein bisschen weißer, die Gesichtshaut ein wenig blasser. Er wirkt zierlicher, verletzlicher. Und seine Stimme ist brüchiger geworden, etwas höher, wie ältere Herren eben oft sprechen, wenn sie unweigerlich in die Jahre kommen.
Er sagt, dass alle anderen Geburtstage "leichter" an ihm vorübergegangen seien. "Ich muss sagen, dass mich dieses Alter zum ersten Mal in meinem Leben ein bisschen nachdenklich macht", erklärte er dem Mitglieder-Magazin "51" des FC Bayern München.
Er denke, das gehöre zum Leben, "dass man zwangsläufig mal an den Punkt kommt, an dem man darüber nachdenkt, dass das Leben endlich ist: Wann ist es so weit, dass du entschwindest? Und in welche Sphären? Das Weltall da draußen ist groß genug, es gäbe jedenfalls genug Möglichkeiten, wohin es einen verschlagen könnte."
Es ist ihm nicht besonders gut ergangen in den letzten Jahren. Er wurde am Herzen operiert, er hatte eine Leisten-OP und bekam ein künstliches Hüftgelenk, er erlitt einen Augen-Infarkt, der die Sehkraft des rechten Auges einschränkte.
Das Schlimmste ist ihm aber wohl 2015 widerfahren: Sein ältester Sohn Stephan starb mit nur 46 Jahren an einem Hirntumor. Bei seiner Beerdigung hatte man einen gebrochenen Vater gesehen. Ein in Trauer und Leid erstarrtes Gesicht. Er hat sich nie davon erholt. Vor knapp zwei Jahren erklärte er "Bunte": "Ich weiß nicht, ob man das jemals verarbeiten kann. Ich glaube, das wird immer so bleiben."
Beckenbauer hat sich mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Die Lichtgestalt, die auf alle anderen, die ihn umgaben, einen mächtigen Schatten warf, stand auf einmal selbst im Schatten. Dabei war er seit Jahrzehnten die Lieblingsfigur der Deutschen. Das lag nicht nur an seiner überragenden sportlichen Bilanz als Spieler und Trainer (zweimal Weltmeister, Europameister, Weltpokalsieger, dreifacher Europapokalsieger der Landesmeister, zehn nationale Meisterschaften). Wegen seiner unvergleichlich eleganten Spielweise hatte man ihn "Kaiser" getauft.
Beckenbauer war das Glückskind der Nation. Wo er war, war oben. Als er seine mit Konfuzius-Zitaten garnierten Sprüche zum Besten gab und das "Franzeln" erfunden hat, hingen selbst Intellektuelle an seinen Lippen. Am treffendsten hat ihn der schottische Teammanager Andy Roxburgh (77) beschrieben: "Franz ist der einzige Mensch auf der Welt, der, wenn er aus dem Fenster springt, nach oben fliegen würde."
In der Tat hatten die meisten seiner Lebenszüge einen ausgesprochen spielerisch-eleganten Charakter. Wo andere schwitzten, rackerten, buckelten und sich quälten, da zelebrierte er. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einer unnachahmlichen Lässigkeit.
Auch seine Frauenaffären hat man ihm wie einem Lausbuben verziehen. Drei Ehen, eine langjährige Beziehung - doch was soll's. Deutschland hat geschmunzelt, als Beckenbauer sagte: "Ich habe mal einen Stammbaum machen lassen: Die Wurzeln der Beckenbauers liegen in Franken. Das waren lustige Familien, alles uneheliche Kinder. Wir sind dabei geblieben."
Er war ja nie ein Marktschreier, wie so viele andere Kicker und Ex-Sportler. Er war charmant, großzügig zu den Ex-Frauen und Lebensabschnittgefährtinnen. Er stiftete und spendete, viel mehr im Stillen als in der Öffentlichkeit, gründete die Franz-Beckenbauer-Stiftung zur Unterstützung behinderter, bedürftiger und unverschuldet in Not geratener Menschen, wurde Botschafter des Kindersozialprojekts "Football for Friendship".
Die Vergabe der WM 2006 an Deutschland schien der Höhepunkt im Berufsleben des Franz B. aus München zu werden. "Wahrscheinlich ist er so mächtig, dass er sogar Regierungen stürzen könnte", meinte der Wiener Künstler André Heller, der künstlerische WM-Berater von 2006. Das war die Zeit, wo er selbst glaubte: "Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint."
Dann kamen die dubiosen Nachwehen des Sommermärchens. "Was da alles war in den letzten Jahren. Mit all den Operationen und auch mit der Geschichte 2006. Das hat mich schon sehr mitgenommen. Ich sehe zwar, dass mittlerweile akzeptiert wird, dass da nichts war, aber die letzten Jahre waren schon hart", erklärte Beckenbauer im Geburtstagsinterview mit der "Bild"-Zeitung. Beschweren will er sich jedoch nicht. "Ich hatte ein so schönes Leben, dass ich für immer dankbar sein werde." Nur mit der Gesundheit hätte es besser laufen können, gibt er zu.