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Frankreichs größter Prozess zum Trauma der Pariser Anschläge vom November 2015

Mit Abdeslam letzter noch lebender mutmaßlicher Attentäter auf der Anklagebank

Die Pariser Anschläge vom 13. November 2015 haben Frankreich tief traumatisiert - nun soll der größte Prozess in der Geschichte des Landes die Hintergründe der Attentate mit 130 Toten klären. Das von massiven Sicherheitsvorkehrungen begleitete Verfahren begann am Mittwoch, auf der Anklagebank saß auch der letzte noch lebende mutmaßliche Attentäter Salah Abdeslam. An dem bis mindestens Mai 2022 angesetzten Prozess sind fast 1800 Nebenkläger beteiligt.

Mit Bart, schwarzem T-Shirt und schwarzem Mund-Nasen-Schutz erschien der 31 Jahre alte Franko-Marokkaner zum Auftakt des Prozesses, wie ein AFP-Korrespondent berichtete. "Es gibt keinen Gott außer Allah", waren Abdeslams erste Worte in dem Verfahren.

In dem umfassendsten Verfahren der jüngeren französischen Geschichte sind neben ihm 19 weitere Männer angeklagt, die unter anderem Waffen besorgt und Abdeslam bei der Flucht geholfen haben sollen. Bis Mai sind 140 Verhandlungstage geplant. Mehr als 330 Anwälte sind beteiligt.

Bei den nahezu zeitgleichen Angriffen im Konzertsaal Bataclan, auf Straßencafés und an einem Fußballstadion hatten islamistische Attentäter am 13. November 2015 insgesamt 130 Menschen getötet, darunter zwei Deutsche. 350 weitere Menschen wurden verletzt.

Abdeslam war am Morgen in einem stark gesicherten Konvoi aus dem Gefängnis zum Gericht gebracht worden. Er hatte gut fünf Jahre dort in Isolationshaft verbracht und sich bislang nie detailliert zu den Taten geäußert.

"Die gesamte Welt beobachtet uns", sagte Justizminister Eric Dupond-Moretti französischen TV-Sendern. Die Ereignisse hätten sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben, fügte er hinzu.

An den ersten beiden Tagen werden die knapp 1800 Nebenkläger aufgerufen, unter ihnen Betroffene und Angehörige aus etwa 20 Ländern. Sie können sich psychologisch beraten lassen. Ein rotes oder grünes Band an ihrem Zugangsausweis zeigt an, ob sie von Journalisten angesprochen werden dürfen.

"Der Prozess ist eine Belastung, aber zugleich warte ich darauf, dass Recht gesprochen wird", sagte Sophie Bouchard-Stech, die Witwe eines der beiden deutschen Opfers, vorab. "Danach werde ich gelöster sein, denn dann ist alles getan, was getan werden konnte, um die Täter zu bestrafen."

Knapp 1000 Sicherheitskräfte sind im Einsatz, um den Prozess abzusichern. Im historischen Justizpalast auf der Ile-de-la-Cité wurde ein neuer Saal mit 550 Plätzen eingerichtet. Die Verhandlungen können in etwa zehn weitere Säle übertragen werden.

Innenminister Gérald Darmanin hat die Präfekte von Paris und anderen Orten zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen. Er erinnerte daran, dass es während des Prozesses zum Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitung "Charlie Hebdo" weitere Anschläge gegeben habe. Vor knapp einem Jahr war der Lehrer Samuel Paty von einem Islamisten getötet worden.

"Der Prozess soll es den Familien ermöglichen, zu verstehen, was passiert ist", sagte der ehemalige Staatsanwalt François Molins dem Sender RTL. Von den 20 Angeklagten werden nur 14 vor Gericht erscheinen. Fünf Angeklagte sind nach Einschätzung der Geheimdienste tot, unter ihnen der Auftraggeber Oussama Atar, ein Belgier mit marokkanischen Wurzeln, der die Anschläge von Syrien aus gesteuert haben soll. Einer der Angeklagten wird noch gesucht.

Gegen Osama Krayem, einen anderen Angeklagten, ermittelt die schwedische Justiz wegen Kriegsverbrechen. Er soll an der grausamen Ermordung eines jordanischen Piloten in Syrien 2015 beteiligt gewesen sein.

Ein Pakistaner und ein Algerier stehen unter Verdacht, ebenfalls für die Pariser Anschläge beauftragt worden zu sein. Sie waren wegen falscher Papiere in Griechenland aufgehalten worden.

Der Prozess soll für die Nachwelt gefilmt werden. Ein Urteil ist frühestens im Mai 2022 zu erwarten.

by Von Marie DHUMIERES und Anne-Sophie LASSERRE