Angesichts weiter steigender Infektionszahlen sind am Wochenende Rufe nach einem harten Lockdown lauter geworden. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält strenge Beschränkungen über zehn bis 14 Tage für notwendig. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) sieht Deutschland "in der gefährlichsten Phase der Pandemie". Derweil wurde über ein Vorziehen des für den 12. April geplanten Bund-Länder-Gipfels debattiert. CSU-Chef Markus Söder sprach sich dagegen aus.
"Wenn wir die Zahlen nehmen, brauchen wir noch einmal zehn, 14 Tage richtiges Herunterfahren unserer Kontakte und Mobilität", sagte Spahn am Samstag. Dies sei ein Lockdown, "so wie wir es auch im letzten Jahr an Ostern erlebt haben". Wenn die dritte Welle bei den Infektionen gebrochen werden könne, seien dann Öffnungsschritte begleitet von Tests möglich.
Voraussetzung sei, "das wir das Infektionsgeschehen unter Kontrolle kriegen", so Spahn. Auch "die Intensivmedizin wird wieder voller mit Covid-19-Patienten".
Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg am Sonntag auf 129,7. Am Samstag hatte der Inzidenzwert bundesweit bei 124,9 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche gelegen. Am Sonntag vergangener Woche waren es 103,9.
Kanzleramtschef Braun warnte vor dem Auftauchen impfresistenter Mutationen in der derzeitigen dritten Corona-Welle. Die kommenden Wochen würden entscheiden, ob Deutschland die Pandemie absehbar in den Griff bekäme, sagte er der "Bild am Sonntag". Um die Infektionszahlen zu senken, müsse es unter anderem statt der inzwischen wieder zurückgenommenen "Osterruhe" regionale Ausgangssperren geben.
Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, zeigte sich offen für einen harten Lockdown. "Es wäre mir lieber, wenn wir noch mal zehn Tage bundesweit in einen harten Lockdown gehen und danach überall öffnen können, anstatt über Monate keine klaren Strukturen zu haben", sagte Wolf der "Bild am Sonntag".
Die SPD forderte klare Aussagen von Spahn. "Vom Gesundheitsminister erwarte ich keine Spekulationen über einen neuen Lockdown, sondern konkrete Vorschläge", sagte Bundestags-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider der "Rheinischen Post" (Montagsausgabe). Er kritisierte die jüngsten Bund-Länder-Beschlüsse und forderte eine strikte Einhaltung der vereinbarten "Notbremse" ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100. Die jüngste Konferenz sei "vom Kanzleramt schlecht vorbereitet" gewesen, es seien bei den Maßnahmen zu viele Kompromisse gemacht worden.
CSU-Chef Markus Söder sagte der "Augsburger Allgemeinen" (Montagsausgabe): "Der Flickenteppich in der Corona-Bekämpfung muss beendet werden." Überall in Deutschland müsse bei einer Inzidenz über 100 automatisch die Notbremse greifen. Dazu gehörten Ausgangsbeschränkungen wie in Bayern und Baden-Württemberg. "Es braucht nicht ständig neue Gespräche", fügte der bayerische Ministerpräsident hinzu.
Er bezog sich damit auf Spekulationen über ein vorgezogenes Bund-Länder-Treffen. Diese waren im Zusammenhang mit Äußerungen des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) aufgekommen. Kretschmann sagte am Samstagabend mit Blick auf einen harten Lockdown: "Erstmal überlegen wir alle solche Sachen." Er fügte nach Angaben einer Sprecherin der Staatskanzlei hinzu: "Wir müssen das auch mit anderen Ländern vorbesprechen, mit dem Bundeskanzleramt."
Bei diesen Gesprächen am Montag und Dienstag gehe es darum, "Klarheit" über das weitere Vorgehen zu erzielen, sagte Kretschmann. Er äußerte sich demnach aber nicht dazu, ob die für den 12. April geplante nächste Bund-Länder-Runde vorgezogen werden solle.
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch lehnte ein Vorziehen ab. Eine Ministerpräsidentenkonferenz "klingt für viele Menschen inzwischen wie eine Bedrohung", sagte Bartsch am Sonntag den Funke-Zeitungen. Einige Ministerpräsidenten machten ohnehin, was sie wollten, fügte er mit Blick auf das Saarland hinzu.
Ein Regierungssprecher sagte am Sonntag auf Anfrage, Bund und Länder "stehen in einem regelmäßigen Austausch zum weiteren Vorgehen in der Corona-Pandemie". Über etwaige Termine werde rechtzeitig informiert.
Die saarländische Regierung will ab 6. April per Rechtsverordnung landesweit die Corona-Restriktionen für Gastronomie, Sport und Kultur sowie private Treffen lockern. In von anderen Bundesländern geplanten Modellkommunen sollen vergleichbare regionale Testläufe stattfinden.
by Anne-Christine POUJOULAT