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Flughafen von Kabul nach Taliban-Erfolgen im Norden Afghanistans aufgerüstet

Regierungstruppen wollen Grenzübergang zum Iran zurückerobern

Nach der Einnahme zahlreicher Bezirke durch die Taliban rüstet sich die afghanische Armee für weitere Angriffe der Radikalislamisten. Am Flughafen von Kabul wurde ein Raketenabwehrsystem installiert, wie die afghanische Regierung am Sonntag mitteilte. Im Nordwesten bereitete die Armee unterdessen offenbar eine Gegenoffensive vor, nachdem die Taliban dort einen wichtigen Grenzübergang erobert hatten. Australien gab den vollständigen Abzug seiner Soldaten aus Afghanistan bekannt, andere Länder beorderten auch ziviles Personal zurück.

Die Taliban hatten am Freitag den afghanisch-iranischen Grenzübergang Islam Kala unter ihre Kontrolle gebracht. An dem rund 120 Kilometer von der Provinzhauptstadt Herat entfernten Grenzübergang wird der größte Teil des offiziellen Handels mit dem Iran abgewickelt. Auch den Torgundi-Übergang an der Grenze zu Tadschikistan nahmen die Taliban nach eigenen Angaben ein.

Die Provinzregierung von Herat im Westen des Landes erklärte am Samstag, die afghanische Armee entsende zusätzliche Soldaten in die Region. Die Streitkräfte würden "bald" auf den Weg geschickt.

Seit dem Beginn des Abzugs aller Nato-Truppen Ende April haben die Taliban nach eigenen Angaben bereits 85 Prozent des Landes erobert. Sie kontrollieren demnach rund 250 der knapp 400 Bezirke in Afghanistan - eine Darstellung, die nicht unabhängig überprüft werden kann und von der Regierung in Kabul zurückgewiesen wird.

Beobachter befürchten, dass die Taliban nach dem vollständigen Abzug der USA und ihrer Nato-Partner aus Afghanistan wieder die Macht in dem Land übernehmen könnten. Die Islamisten stoßen bei ihrem Vormarsch teilweise kaum auf Gegenwehr. An anderen Orten gibt es heftige Kämpfe, wie derzeit um die Provinzhauptstadt Kala-i-Naw im Nordwesten des Landes.

Das am Flughafen von Kabul installierte Luftabwehrsystem wurde in der Nacht zum Sonntag in Betrieb genommen, wie das Innenministerium mitteilte. Das System soll die Hauptstadt vor Raketenangriffen schützen. Um was für ein System genau es sich handelt und wer die Installation vornahm, wollte Ministeriumssprecher Tarik Arian auf Nachfrage allerdings nicht sagen.

Armeesprecher Adschmal Omar Schinwari erklärte, das System basiere auf einer "komplizierten Technologie". Afghanistan habe es von seinen "ausländischen Freunden" erhalten, die es zunächst auch betreiben würden.

Die Türkei hatte angekündigt, nach dem Abzug der verbliebenen US-Soldaten Sicherheitsinfrastruktur für den Kabuler Flughafen bereitzustellen. Am Freitag sagte Staatschef Recep Tayyip Erdogan, Ankara und Washington hätten sich auf den Umfang der türkischen Sicherung des Flughafens geeinigt.

Während sich die Angriffe der Taliban zuletzt auf den Norden und Westen des Landes konzentrierten, war Kabul im vergangenen Jahr immer wieder Ziel von Angriffen durch die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Auch zu einem Raketenangriff auf den US-Hauptstützpunkt Bagram in diesem Jahr hatte sich der IS bekannt.

Die US-Armee hatte Bagram Anfang Juli an die afghanischen Streitkräfte übergeben. Bis Ende August soll der vollständige Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan vollzogen sein. Die Bundeswehr ist bereits seit Ende Juni nicht mehr in Afghanistan präsent.

Auch Australien zog in den vergangenen Wochen alle verbliebenen Soldaten aus Afghanistan ab, wie Verteidigungsminister Peter Dutton am Sonntag sagte. Indiens Außenministerium verkündete derweil die "vorläufige" Rückkehr seiner Diplomaten aus dem Konsulat im südafghanischen Kandahar nach Indien.

In der vergangenen Woche hatte Russland die Schließung seines Konsulats in der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif verkündet. In dieser Woche startete zudem ein chinesischer Evakuierungsflug mit mehr als 200 Passagieren aus Afghanistan ins zentralchinesische Wuhan.

Trotz des Vormarsches der Taliban hatte US-Präsident Joe Biden am Donnerstag seine Entscheidung für einen raschen Truppenabzug aus Afghanistan verteidigt. Die USA hätten seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ihre Ziele im Anti-Terror-Kampf am Hindukusch "erfüllt", sagte er.

by Von Usman SHARIFI