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Fieberhafte Suche nach Überlebenden nach verheerendem Erdbeben in Marokko

In Marokko läuft ein dramatischer Wettlauf gegen die Zeit: Nach dem schwersten Erdbeben in der Geschichte des Landes haben Rettungskräfte am Sonntag weiter fieberhaft nach Überlebenden gesucht. Bis Samstagabend stieg die Zahl der Toten nach Regierungsangaben auf mehr als 2000, es wurde jedoch mit deutlich mehr Opfern gerechnet. Zahlreiche Staaten boten ihre Hilfe an, deutsche Rettungskräfte konnten wegen einer fehlenden Hilfsanfrage Marokkos zunächst nicht ins Katastrophengebiet fliegen.

In der am stärksten betroffenen Provinz Al-Haouz südwestlich der Touristenmetropole Marrakesch wurde nach staatlichen Angaben mehr als die Hälfte der Toten gefunden. Am Sonntagmorgen erschütterte ein Nachbeben der Stärke 4,5 die Gegend.

Das marokkanische Königshaus rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Nach Angaben des Innenministeriums wurden bis zum späten Samstagabend 2012 Todesopfer gezählt. Mindestens 2059 weitere Menschen wurden demnach verletzt, 1404 von ihnen schwebten in Lebensgefahr. 

Das Erdbeben hatte das nordafrikanische Land in der Nacht zum Samstag erschüttert. Die US-Erdbebenwarte USGS gab dessen Stärke mit 6,8 an, marokkanische Experten mit 7,0. Das Epizentrum lag rund 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch in Al-Haouz. Luftaufnahmen zeigten dem Erdboden gleichgemachte Dörfer in den Bergen von Al-Haouz, wo die meisten Häuser aus Lehmziegeln bestehen.

Das Beben richtete auch in Marrakesch Schäden an. In der bei Touristen beliebten Altstadt lagen Trümmer auf den Straßen. An der Moschee auf dem Marktplatz Jemaa el-Fna stürzte ein Teil des Minaretts ein und verletzte zwei Menschen. Aus Angst, ihre beim Beben beschädigten Häuser könnten einstürzen, schliefen viele Bewohner von Marrakesch in der Nacht zum Sonntag die zweite Nacht im Freien.

Unter den Toten waren nach Angaben des französischen Außenministeriums auch vier Franzosen, 15 weitere Franzosen wurden demnach verletzt. Zu möglichen deutschen Opfern lagen angesichts der unübersichtlichen Lage vor Ort bis Sonntag keine Angaben vor. Das Team der deutschen Botschaft in Rabat richtete eine Notrufnummer ein.

Marokko mobilisierte nach Regierungsangaben sämtliche Einsatzkräfte, um in den betroffenen Regionen zu helfen. Das Bluttransfusionszentrum in Marrakesch rief die Bevölkerung zu Blutspenden für die zahlreichen Verletzten auf.

In dem Bergdorf Tafeghaghte nahe des Epizentrums stand praktisch kein Gebäude mehr, Soldaten suchten in den Trümmern. Die meisten Überlebenden strömten zum Friedhof, wo rund 70 Einwohnerinnen und Einwohner beigesetzt wurden. "Drei meiner Enkel und ihre Mutter sind getötet worden. Sie liegen noch unter dem Schutt. Vor kurzem haben wir noch zusammen gespielt", sagte der 72-jährige Dorfbewohner Omar Benhanna der Nachrichtenagentur AFP. 

Zahlreiche Staats- und Regierungschefs sprachen Marokko ihr Beileid aus und sicherten Unterstützung zu. Allerdings verhinderte nach Angaben des Technischen Hilfswerks (THW) das Zögern der marokkanischen Regierung einen Einsatz der Rettungskräfte. 

Wie das THW am Sonntag mitteilte, standen seit Samstagabend Rettungskräfte am Flughafen Köln-Bonn bereit. Da aber zunächst kein internationales Hilfeersuchen aus Marokko eingegangen sei, seien die Kräfte wieder an ihre Standorte zurückgekehrt. Nun werde die Lieferung von Hilfsgütern geprüft.

Spanien entsandte am Sonntag ein Flugzeug mit 56 Rettungshelfern und vier Spürhunden nach Marokko. Die Spezialisten gehören zur militärischen Notfalleinheit UME, die bereits nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei im Einsatz war. Aus Frankreich traf ein Team von freiwilligen Feuerwehrleuten ein.

Das Nachbarland Algerien, das vor zwei Jahren die diplomatischen Beziehungen zu Marokko abgebrochen hatte, sprach dem marokkanischen Volk sein "aufrichtiges Beileid" aus und kündigte die Öffnung seines Luftraums für Hilfsflüge nach Marokko an. Auch Israel, das erst seit 2020 diplomatische Beziehungen zu Marokko unterhält, bot die Entsendung von Rettungstrupps an.

Die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) erklärte, der Wiederaufbau in Marokko werde womöglich Jahre dauern. Die IFRC stellte umgerechnet mehr als 930.000 Euro an Soforthilfe für die Rettungskräfte in Marokko bereit.

se/gt