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Evakuierungsflüge der Bundeswehr aus Kabul laufen schleppend an

Erste Maschine fliegt nur sieben Menschen aus - Zweites Flugzeug gelandet

Die Rettung von Menschen aus Kabul durch die Bundeswehr wird für die Betroffenen zur tagelangen Nervenprobe: Eine erste Bundeswehrmaschine konnte in der Nacht zum Dienstag nur sieben Menschen aus der afghanischen Hauptstadt in Sicherheit bringen. Ein zweites Flugzeug landete am Dienstagnachmittag (Ortszeit) in Kabul. Angesichts der zuvor chaotischen Lage am Flughafen blieb der weitere Fortgang der Rettungsaktionen ungewiss. Die radikalislamischen Taliban verkündeten derweil eine "Generalamnestie" für afghanische Regierungsvertreter.

"Wir nehmen alles mit, was vom Platz her in unsere Flugzeuge passt", sagte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in Berlin nach der Landung der zweiten Transportmaschine in Kabul. Dies betreffe deutsche Staatsbürger, gefährdete Afghanen und Staatsbürger verbündeter Nationen.

Die erste Bundeswehrmaschine war in der Nacht zum Dienstag nach Angaben der Ministerin in einer "halsbrecherischen Landung" in Kabul eingetroffen. "Wir hatten nur ganz wenig Zeit und deswegen haben wir nur die mitgenommen, die jetzt wirklich auch vor Ort waren", sagte sie im ARD-"Morgenmagazin" unter Verweis auf die chaotische Situation am Flughafen. Die Maschine hatte zuvor lange über Kabul kreisen müssen, bevor sie überhaupt landen konnte.

Deutsche Soldaten hätten am Flughafen Stellung bezogen, um die Rettungsflüge abzusichern. Ihre wichtigste Aufgabe sei es angesichts der instabilen Lage am Flughafen, "diejenigen, die abfliegen, zum Flugzeug zu bringen. Dazu brauchen wir eigene Kräfte." Dafür seien insgesamt bis zu 600 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vorgesehen.

Die Bundeswehr will eine Luftbrücke aufbauen, um deutsche Staatsangehörige, Ortskräfte und andere Schutzsuchende nach Deutschland zu bringen. Sie sollen zunächst in die usbekische Hauptstadt Taschkent ausgeflogen und dann mit Charterflugzeugen nach Deutschland gebracht werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich am Montagabend allerdings zurückhaltend zu den Erfolgsaussichten der Rettungsaktion für einheimische Ortskräfte geäußert. "Das haben wir leider nicht mehr voll in der Hand", sagte Merkel. Dies hänge "von der Lage in Kabul ab". Fraglich ist insbesondere, wie Schutzsuchende angesichts der prekären Sicherheitslage in der Stadt zum Flughafen gelangen können.

"Wir arbeiten mit Hochdruck daran, Ortskräfte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit und mit uns kooperierender Hilfsorganisationen, die dies wollen, sicher aus Afghanistan zu bringen", sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) der "Rheinischen Post" (Mittwochsausgabe). Die staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan sei derzeit ausgesetzt, fügte er hinzu.

Am Flughafen von Kabul hatten sich am Montag chaotische Szenen abgespielt. Tausende Menschen versuchten verzweifelt, an Bord von Evakuierungsflugzeugen zu gelangen. Die US-Luftwaffe brachte bei einer dramatischen Rettungsaktion rund 640 Menschen in einer einzige Maschine außer Landes.

Auf einem Foto war zu sehen, wie sich hunderte Afghanen in der Maschine zusammendrängten. Viele Passagiere waren in letzter Minute über die halboffene Laderampe in das Flugzeug geklettert. Die Besatzung habe sich dennoch zum Start entschlossen, erklärte das US-Militär am Dienstag. Frankreich flog derweil 45 Menschen aus Kabul aus, wie das Verteidigungsministerium in Paris mitteilte.

Die Taliban hatten am Sonntag nach einem zehntägigen Eroberungsfeldzug durch Afghanistan die Hauptstadt Kabul eingenommen. Die afghanische Regierung gestand ihre Niederlage ein, Präsident Aschraf Ghani floh ins Ausland. Die schnelle Machtübernahme der Taliban löste in den westlichen Staaten Fassungslosigkeit aus und weckte große Besorgnis unter anderem wegen der Frauen in dem Land.

US-Präsident Joe Biden verteidigte trotz des Desasters in Afghanistan den Abzug der US-Truppen aus dem Land. Er sei zwar "zutiefst traurig" über die Entwicklung in dem Land, sagte Biden im Weißen Haus. "Aber ich bedaure meine Entscheidung nicht."

"Amerikanische Soldaten können und sollten nicht in einem Krieg kämpfen und sterben, den die afghanischen Streitkräfte selbst nicht kämpfen wollen", betonte der US-Präsident. China warf den USA am Dienstag vor, ein "schreckliches Chaos" in Afghanistan hinterlassen zu haben.

Die Taliban, die während ihrer ersten Herrschaft von 1996 bis 2001 eine rigide und oft brutale Auslegung des islamischen Rechts durchgesetzt hatten, waren derweil darum bemüht, sich als gemäßigte Machthaber zu präsentieren. Die Miliz verkündete am Dienstag eine Generalamnestie für alle afghanischen Regierungsmitarbeiter und forderte sie auf, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.

Auf den Straßen von Kabul kehrte wieder eine gewisse Normalität ein. Während einige Geschäfte wieder öffneten, blieben Schulen und Universitäten aber geschlossen. Zudem wagten sich zunächst nur wenige Frauen auf die Straße.

by Von David FOX