78701:

Europäische Politiker fordern rasche Regierungsbildung in Deutschland

Sassoli: "Europa braucht starken und verlässlichen Partner in Berlin"

Nach der Bundestagswahl hat Europaparlaments-Präsident David Sassoli die deutschen Parteien zu einer raschen Regierungsbildung aufgerufen. "Nach dieser historischen Krise gibt es keine Zeit zu verlieren", schrieb der Italiener mit Verweis auf die Corona-Pandemie am Montag im Onlinedienst Twitter. "Europa braucht einen starken und verlässlichen Partner in Berlin, damit wir unsere gemeinsame Arbeit für eine soziale und grüne Erholung fortsetzen können." Vor einer "langen Phase der Untätigkeit" im Falle einer langwierigen Regierungsbildung in Deutschland warnte auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn.

Sassoli gratulierte Olaf Scholz und der SPD zu ihrem Wahlsieg. Der 65-Jährige ist Mitglied der italienischen Partito Democratico (PD), die im Europaparlament der sozialdemokratischen Fraktion angehört.

Der Vorsitzende der liberalen Renew-Fraktion im Europaparlament, Dacian Ciolos, gratulierte dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner. "Beeindruckende Unterstützung durch junge Wähler!", schrieb er auf Twitter. "Die Liberalen sind in einer guten Position, das politische Schicksal Deutschlands zu beeinflussen. Es ist Zeit, Deutschland und Europa zu erneuern!"

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn bezeichnete ein Ampel-Bündnis als Konsequenz aus der Wahl als naheliegend. "Angesichts des Wahlergebnisses wäre es nicht unlogisch, wenn sich Sozialdemokraten, Grüne und Liberale zusammenfinden würden", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Auch Asselborn gab seiner Hoffnung auf eine Regierungsbildung bis Weihnachten Ausdruck. "Sollten sich die Verhandlungen bis ins nächste Jahr und bis zum französischen Präsidentschaftswahlkampf hinziehen, droht Europa eine lange Phase der Untätigkeit", warnte Asselborn.

In Frankreich finden im kommenden Jahr Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. "Angesichts anstehender wichtiger Weichenstellungen zum Beispiel in der Klimapolitik und bei der Rechtsstaatlichkeit kann es sich die EU aber nicht leisten, dass wichtige Staaten wie Deutschland oder Frankreich als handlungsfähige Taktgeber lange ausfallen", betonte Asselborn.

Auch Frankreichs Europa-Staatssekretär Clément Beaune sagte, er hoffe auf eine Regierungsbildung in Deutschland bis Ende des Jahres. "Es liegt im Interesse Frankreichs, schnell eine starke Regierung in Deutschland zu haben", betonte er im Sender France2. Einen Richtungswechsel im Nachbarland habe Frankreich nicht zu befürchten, sagte Beaune weiter. Alle Parteien, die an der Koalition beteiligt sein könnten, seien pro-europäisch eingestellt.

Beobachter rechnen mit komplizierten Verhandlungen zur Regierungsbildung in Deutschland. Sowohl SPD-Spitzenkandidat Scholz als auch CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet gaben das Ziel aus, Koalitionsverhandlungen bis Weihnachten abgeschlossen zu haben.

by PATRICK HERTZOG