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Europäer sehen "Risse" in Putins Machtgefüge

Die Revolte der russischen Wagner-Söldner hat nach Einschätzung der EU-Außenminister Risse im Machtgefüge von Präsident Wladimir Putin offenbart. Der Aufstand von Söldnerchef Jewgeni Prigoschin vom Wochenende spalte die russische Militärmacht und zeige die Schwächen des politischen Systems, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag beim Außenministertreffen in Luxemburg. Die deutsche Ressortchefin Annalena Baerbock (Grüne) sprach von einem "innenpolitischen Machtkampf in Russland", der "massive Risse in der russischen Propaganda" offenbare.

"Das Monster, das Putin mit Wagner geschaffen hat, beißt ihn nun", sagte Borrell weiter. Es sei beunruhigend, dass eine Atommacht wie Russland dermaßen instabil werden könne.

Putin hatte Prigoschin jahrelang freie Hand gelassen, in russischen Gefängnissen Kriminelle für seinen Söldnerdienst zu rekrutieren. Wagner-Söldner spielten in den vergangenen Monaten eine wichtige Rolle im Ukraine-Krieg, vor allem bei dem langwierigen und verlustreichen Kampf um die ostukrainische Stadt Bachmut. Der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg verglich Putin deshalb mit dem Zauberlehrling aus der gleichnamigen Ballade von Johann Wolfgang von Goethe: "Er wird die Geister nicht los, die er rief", sagte Schallenberg.

Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna sagte, die Krise offenbare "Risse, Brüche und Verwerfungen innerhalb des russischen Systems". Baerbock ergänzte, es seien "verheerende Folgen des russischen Angriffskriegs auch auf das Machtsystem von Putin" erkennbar. Es sei aber noch "unklar, welche weiteren Akte in diesem Schauspiel folgen werden".

US-Außenminister Antony Blinken hatte am Sonntag ebenfalls von "Rissen" in Putins Machtgebäude gesprochen. Während die US-Geheimdienste laut Medienberichten allerdings vor dem Aufstand Hinweise auf die Pläne Prigoschins hatten, wurden die Europäer vom Ausmaß der Revolte offenbar überrascht.

Das jedenfalls verdeutlichen Äußerungen des EU-Militärausschussvorsitzenden Robert Brieger: "Die unmittelbaren Ereignisse am vergangenen Wochenende haben wir so nicht erwartet", sagte der frühere österreichische Generalstabschef am Rande des Außenministertreffens in Luxemburg. Es habe auch "keine akute Warnung" gegeben.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba beriet in einer Videoschalte mit seinen EU-Kollegen über die Lage. "In Russland sind Panzer mit geringem Widerstand Richtung Moskau gerollt", schrieb er danach auf dem Kurzbotschaftendienst Twitter. Er rief die Europäer auf, "die russische Niederlage durch erhöhte Unterstützung für die Ukraine zu beschleunigen".

Die Außenminister billigten in Luxemburg die Aufstockung ihres gemeinsamen Militärhilfe-Fonds um 3,5 Milliarden Euro. Borrell sprach von einem "klaren politischen Signal" der militärischen Unterstützung für die Ukraine und andere Partner. Ungarn blockierte zuletzt allerdings die Freigabe einer Tranche von 500 Millionen Euro zu Gunsten der Regierung in Kiew.

Die Mittel kommen aus der Europäischen Friedensfazilität (European Peace Facility, EPF). Aus dem Topf außerhalb des EU-Haushalts können sich Mitgliedsländer teilweise die Kosten für Waffen und Munition erstatten lassen, die sie an die Ukraine weitergeben. Seit der russischen Invasion haben die EU-Staaten daraus bereits rund 5,6 Milliarden Euro für Kiew bereitgestellt.

Die zusätzlichen 3,5 Milliarden Euro sollen nicht ausschließlich der Ukraine zugute kommen. Auch militärische und zivile EU-Missionen auf dem Westbalkan oder in der Sahel-Region werden damit finanziert. 

lob/yb