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EU will über Visavergabe Druck zur Flüchtlingsrücknahme erhöhen

EU-Kommissarin droht Herkunftsländern mit Sanktionen ab dem Sommer

Die EU will über die Visavergabe den Druck auf Drittstaaten erhöhen, abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen. Sollten Verhandlungen in den kommenden Monaten nicht zum Erfolg führen, sei sie bereit, "schon diesen Sommer Vorschläge für Beschränkungen der Visa-Politik" vorzulegen, sagte EU-Kommissarin Ylva Johansson nach Beratungen der europäischen Innenminister am Freitag. Andererseits könnten kooperationswillige Länder mit erleichterter Visavergabe belohnt werden.

Die EU will schon seit Jahren die Zahl der Abschiebungen erhöhen. Johansson zufolge konnten 2019 von rund 500.000 abgelehnten Asylbewerbern nur 140.000 bis 150.000 in ihre Heimatländer zurückgebracht werden.

Die EU-Mitgliedstaaten hatten bereits 2019 beschlossen, bei unzureichender Rücknahmebereitschaft "die Bearbeitung von Visumsanträgen als Hebel" einzusetzen. Durch eine Änderung des Visakodex kann die EU nun entscheiden, ob bei Visa Bearbeitungszeiten verlängert, die Gültigkeit verkürzt, die Kosten erhöht oder kostenlose Einreisegenehmigungen für Gruppen wie Diplomaten gestrichen werden.

Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) forderte bei den Beratungen mit seinen EU-Kollegen, "zügig" den sogenannten Visahebel einzusetzen. "Wenn Länder bei der Rückführung nicht kooperieren, muss das Konsequenzen haben", erklärte er. Wer Staatsangehörige nicht zurücknehme, könne "auch keine Visaerleichterungen erwarten".

Bei den Beratungen der Minister legte die Kommission einen ersten Bericht vor, in dem die Rücknahmebereitschaft von 39 Herkunftsländern bewertet wird. Johansson schlug vor, jetzt eine Liste mit einem Teil der Länder zu erstellen, die als "prioritär" gelten, um die Rückführungen aus der EU voranzubringen.

Die Kommission soll mit ihnen in den kommenden Monaten Verhandlungen führen. Bei guter Kooperationsbereitschaft könnten auch Anreize bei der Visavergabe etwa für Studenten oder Geschäftsleute geschaffen werden. Dabei könnten Gebühren gesenkt, Entscheidungsfristen verkürzt oder die Gültigkeit von Mehrfachvisa verlängert werden.

Die Frage der Abschiebungen wird am Montag auch bei einer gemeinsamen Video-Konferenz der Innen- und Außenminister diskutiert. Hier soll besprochen werden, inwieweit die Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt werden kann, um die Rücknahmebereitschaft zu erhöhen.

Johansson versprach sich nach diesen Beratungen für einen Zeitplan aus, "wie wir von Worten zu Taten kommen". Nötig sei ein "umfassender Ansatz", der viele Faktoren berücksichtige und Ländern auch Hilfe anbiete, um die Kontrolle ihrer Grenzen zu verbessern und gegen Menschenschmuggler vorzugehen.

Die Beratungen über die Asylreform in der EU verliefen Diplomaten zufolge weiter schleppend. Einige Mitgliedstaaten gingen nicht davon aus, dass es hier unter der portugiesischen EU-Präsidentschaft bis Ende Juni noch zu einem Durchbruch kommt.

Die EU-Staaten streiten seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 über die Asylreform. Die EU-Kommission hatte im September einen neuen Vorschlag unterbreitet. Er sieht beschleunigte Asylverfahren direkt an den Außengrenzen und schnellere Abschiebungen vor.

Osteuropäische Länder wie Ungarn lehnen die Pläne jedoch ab, weil sie weiter Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU enthalten. Hauptankunftsländer für Migranten im Süden der Union wie Italien und Griechenland kritisieren ihrerseits, dass keine gerechte Lastenteilung vorgesehen ist.

Portugals Innenminister Eduardo Cabrita sagte, er werde sich auf diese Fragen konzentrieren. In den kommenden drei Monaten wolle er "Land für Land" versuchen, "die Zweifel" in auszuräumen.

by Von Martin TRAUTH