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EU will in Krisen wie Afghanistan schneller eingreifen können

Kramp-Karrenbauer für "Koalitionen von Willigen"

Als Lehre aus dem Afghanistan-Einsatz will die Europäische Union ihre militärischen Krisen-Reaktionskräfte neu aufstellen. Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) plädierte am Donnerstag bei Beratungen der europäischen Verteidigungsminister im slowenischen Kranj für "Koalitionen von Willigen" - also Gruppen von EU-Staaten, die ihre militärischen Kräfte bündeln könnten. Nicht alle Europäer ziehen dabei allerdings am gleichen Strang.

Der chaotische Abzug der USA und ihrer Verbündeten aus Afghanistan hat der seit Jahren geführten Debatte um europäische Einsatzkräfte neue Dringlichkeit verliehen. Der slowenische Verteidigungsminister Matej Tonin sprach sich als amtierender Ratsvorsitzender ebenfalls für eine Koalition "williger Staaten" aus, um in Krisen wie in Afghanistan militärisch nicht von den Amerikanern abhängig zu sein. Damit könnten nach seinen Angaben "5000 bis 20.000 Soldaten" kurzfristig mobilisiert werden.

Tonin brachte dafür Beschlüsse mit einfacher Mehrheit ins Gespräch. Damit würde allerdings das Konsens-Prinzip der EU ausgehebelt, das die Grundlage für die Verteidigungs- und Außenpolitik der EU bildet. Für solche Mehrheitsbeschlüsse habe es in der Debatte in Slowenien keine Zustimmung gegeben, hieß es aus Delegationskreisen.

Kramp-Karrenbauer sprach sich deshalb für ein Vorgehen nach Artikel 44 des EU-Vertrags aus. Er ermöglicht es der EU, die Ausführung einer Mission einer Gruppe von Mitgliedstaaten zu übertragen. Dafür ist ein einstimmiger Beschluss nötig.

Der EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, forderte in Slowenien, die EU müsse sich "für künftige Herausforderungen besser vorbereiten". Er hatte kürzlich im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AFP gesagt, die Europäer müssten mehr "Muskeln" zeigen. Konkret plädierte er für eine schnelle Eingreiftruppe mit tausenden Soldaten.

Auch der französische EU-Kommissar Thierry Breton unterstützt die Idee, wie er in Slowenien und im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung" (Donnerstagsausgabe) deutlich machte. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte bereits nach seinem Amtsantritt 2017 für stehende Einsatzkräfte plädiert und will unter seinem EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2022 einen entsprechenden Beschluss erreichen.

"Es geht nicht darum, eine europäische Truppe zu haben, die über allem steht", sagte Kramp-Karrenbauer. Afghanistan habe gezeigt, dass es auch um wichtige Fragen wie gemeinsamen Lufttransport und militärische Aufklärung gehe. Zwar müsse die EU bei der Verteidigungspolitik "selbstständiger handeln können". Aber es sei "ganz wichtig, dass wir das nicht als Alternative zur Nato und zu den Amerikanern tun."

Die Debatte um europäische Krisen-Reaktionskräfte ist nicht neu: Seit 2007 hat die EU sogenannte Battlegroups - Kampfgruppen - mit rund 1500 Soldaten als Krisen-Interventionskräfte. Sie kamen bisher aber nie zum Einsatz.

Mehrere Mitgliedstaaten kritisierten, es fehle dafür der politische Wille: Der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks beklagte, in Deutschland werde über jeden Militäreinsatz eine gesellschaftliche Debatte geführt. "Allein mit guten Worten lassen sich die Taliban aber nicht überzeugen." Der luxemburgische Verteidigungsminster François Bausch rief die EU auf, bei der Verteidigung endlich "Nägel mit Köpfen" zu machen.

Ab Donnerstagabend wollten in Slowenien auch die EU-Außenminister über Afghanistan beraten. Zu dem Treffen wurde Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erwartet. Dabei sollte es unter anderem um die Haltung der EU zu den Taliban gehen. Diese wollen offenbar noch diese Woche ihre neue Regierung vorstellen, wie es aus Kabul hieß.

by Von Stephanie LOB