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EU verschärft Exportregeln wegen Impfstoffstreits mit Astrazeneca

Ausfuhren können einfacher unterbunden werden – Großbritannien im Visier

Im Streit um Corona-Impfstofflieferungen des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca hat die EU-Kommission die Möglichkeiten für Exportstopps deutlich ausgeweitet. Die Brüsseler Behörde machte am Mittwoch den Weg für Ausfuhrsperren in dem Fall frei, dass ein Zielland selbst Impfstoff produziert aber nicht exportiert, oder wenn dessen Bevölkerung bereits weitgehend durchgeimpft ist. Dies sei nötig, “um unsere Impfziele gegen das Coronavirus zu erreichen”, sagte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis.

Hintergrund sind massive Lieferrückstände bei Astrazeneca. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte dem Unternehmen deshalb wiederholt mit einem Exportverbot gedroht. “Die anhaltenden Produktionsausfälle sind nicht gerecht auf die verschiedenen Vertragsländer verteilt”, unterstrich Dombrovskis. Im Fokus steht hier Großbritannien, das von den Lieferproblemen bislang deutlich weniger betroffen war und zugleich große Mengen Impfstoff aus der EU importiert.

Brüssel wirft London zudem vor, die Ausfuhr von Astrazeneca-Impfstoff aus britischer Produktion mittels vertraglicher Vereinbarungen de facto zu unterbinden. Die Kommission stufte dies nun als Gefahr für die Impfstoffversorgung der EU ein. Sie nimmt ausdrücklich Bezug auf Länder mit eigenen Produktionskapazitäten, die “entweder per Gesetz oder durch vertragliche oder sonstige Vereinbarungen” Exporte verhindern.

“Die Mitgliedstaaten sollten Ausfuhrgenehmigungen dementsprechend verweigern”, erklärte die Behörde. Dasselbe gelte für Länder, “in denen die Impfquote höher als in der Union oder die aktuelle Infektionslage weniger ernst ist”. Laut Dombrovskis ist dabei allerdings “zwischen Unternehmen mit schlechter Leistung und solchen mit guter Leistung zu unterscheiden”. Lieferungen anderer Hersteller als Astrazeneca dürften damit zunächst nicht betroffen sein.

Im Januar hatte Brüssel bereits einen Exportkontrollmechanismus geschaffen, der Impfstoffhersteller in der EU verpflichtet, Ausfuhren in Drittländer genehmigen zu lassen. Ausfuhren können seitdem gestoppt werden, wenn sie der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen des jeweiligen Herstellers mit der EU zuwider laufen. Bislang wurde von hunderten Lieferungen nur eine – eine Astrazeneca-Lieferung von Italien nach Australien – nicht bewilligt.

Eine ganze Reihe von Ländern, darunter der gesamte Balkan, der Mittelmeerraum und östliche Nachbarländer, waren zudem bislang von der Genehmigungspflicht ausgenommen. Die Kommission äußerte den Verdacht, dass Hersteller die Auflagen umgingen, indem sie ihre Exporte über diese Länder leiteten. Laut der neuen Verordnung sollen Ausnahmen deshalb nur noch für sehr wenige Länder und Gebiete mit sehr enger Bindung an die EU gelten, etwa die Färöer-Inseln und der Vatikan.

Wegen der Produktionsprobleme in Werken in der EU hat Astrazeneca bislang ohnehin nur wenige Ausfuhranträge gestellt. Dies könnte sich aber ändern: Ein Werk im niederländischen Halix soll bald die Produktion aufnehmen. Astrazeneca hatte bislang die dafür nötige EU-Genehmigung nicht beantragt. Die EU und Großbritannien beanspruchen den dort hergestellten Impfstoff jeweils für sich.

Das Thema steht beim Videogipfel der EU-Staats- und Regierungschef am Donnerstag und Freitag weit oben auf der Tagesordnung. Ein niederländischer Regierungsvertreter sprach sich grundsätzlich für einen Kompromiss mit Großbritannien aus. Den Haag werde aber der Kommission in ihrer Entscheidung folgen und notfalls den Exportstopp durchsetzen, sagte er.

Die italienischen Behörden fanden nach EU-Angaben vom Mittwoch derweil 29 Millionen Impfstoffdosen von Astrazeneca in einer Abfüllanlage bei Rom. Die EU-Kommission habe um Inspektion des Werkes gebeten, weil sie Astrazeneca verdächtigte, “über mehr Produktionskapazität in Europa zu verfügen, als sie angegeben hatten”, sagte ein EU-Vertreter zu AFP.

Bestimmungsort und Herkunft des Wirkstoffs in den in Italien abgefüllten Dosen sind demnach noch unklar. Medienberichten zufolge könnten die Dosen aus dem Werk in Halix stammen und für den Export nach Großbritannien bestimmt sein.

by Von Peter EßER

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