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EU-Sanktionen gegen Belarus nach mühsamer Gipfel-Einigung in Kraft

EU setzt im Erdgas-Streit mit Türkei auf Doppelstrategie

Mit Mühe hat der EU-Gipfel Europas außenpolitische Handlungsfähigkeit wiederhergestellt und den Weg für die seit Wochen blockierten Sanktionen zu Belarus freigemacht. Die Strafmaßnahmen gegen 40 Verantwortliche für Wahlbetrug und Gewalt gegen Demonstranten konnten am Freitag in Kraft treten, nachdem Zypern seinen Widerstand aufgegeben hatte. Im Streit um Erdgas-Bohrungen im Mittelmeer setzt die EU auf eine Doppelstrategie: Sie droht der Türkei mit Sanktionen, lockt Ankara aber auch mit wirtschaftlichen Vorteilen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begrüßte die Gipfel-Einigung als "großen Fortschritt". Die Staats- und Regierungschefs hätten eine "manchmal auch schwierige Diskussion" geführt, "aber wir haben uns zusammengerauft", sagte sie nach neunstündigen Verhandlungen am ersten Gipfeltag.

Die EU hatte bereits kurz nach der umstrittenen Präsidentschaftswahl in Belarus im August Sanktionen angekündigt. Zypern hatte den Sanktionsbeschluss aber über Wochen blockiert, weil es einen härteren Kurs gegenüber der Türkei wegen der Erdgas-Bohrungen im östlichen Mittelmeer forderte.

Wenige Stunden nach der Gipfel-Einigung traten die Strafmaßnahmen zu Belarus in Kraft. Sie betreffen 40 Belarussen, darunter Innenminister Juri Karaeu und Vertreter der Wahlkommission und Sicherheitskräfte, nicht aber Präsident Alexander Lukaschenko. Dies könnte sich laut EU-Ratspräsident Charles Michel aber noch ändern. Die Regierung in Minsk kündigte umgehend Vergeltungsmaßnahmen an, ohne nähere Angaben zu machen.

Im Verhältnis zur Türkei drohte der EU-Gipfel der Regierung zum einen mit Sanktionen wegen des Erdgas-Streits. Sie stellte aber gleichzeitig Gespräche über weitere Unterstützung bei der Versorgung syrischer Flüchtlinge, die Ausweitung der Zollunion und Reiseerleichterungen für türkische Bürger in Aussicht.

Griechenland und Zypern begrüßten die Gipfel-Beschlüsse. Er sei "vollkommen zufrieden", sagte Regierungschef Kyriakos Mitsotakis. Die EU habe "volle Solidarität" gezeigt, sagte Zyperns Präsident Nicos Anastasiadis. Die von ihm geforderten Sanktionen seien kein Selbstzweck gewesen, es gehe darum, "die gesetzlosen Aktionen der Türkei zu beenden und ein positives Klima zu schaffen".

Beim militärischen Konflikt um die Region Berg-Karabach rief der Gipfel zu "einem sofortigen Ende der Gefechte" sowie Armenien und Aserbaidschan zu Verhandlungen auf. Den Giftanschlag gegen den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny verurteilten die Staats- und Regierungschefs als "Mordversuch" mit einem militärischen Nervenkampfstoff. Sie verlangten von Russland eine unabhängige Untersuchung und wollten sich schon Mitte Oktober erneut mit dem Fall befassen.

Im Verhältnis zu China bekräftigten die Staats- und Regierungschefs das Ziel, die Verhandlungen über ein seit langem geplantes Investitionsabkommen bis Jahresende abzuschließen, bekundeten aber zugleich ihre "ernsthafte Besorgnis" über die Menschenrechtslage in der Volksrepublik. EU-Ratspräsident Charles Michel kündigte für den 16. November ein Gipfeltreffen speziell zu China in Berlin an.

In Wirtschaftsfragen setzte sich der Gipfel auch unter Verweis auf die Corona-Pandemie das Ziel einer "strategischen Autonomie" von Drittstaaten. Heimische Firmen sollen vor "unfairen und missbräuchlichen Praktiken" geschützt werden und in wichtigen Sektoren wie dem Gesundheits- und Digitalbereich gezielt gefördert werden.

Merkel warnte angesichts der Corona-Pandemie, allen sei klar, "dass die schwierigsten Monate jetzt vor uns liegen". Je besser sich die EU-Länder abstimmten, desto besser kämen Europas Bürger "durch diese schwere Phase".

Die stockenden Verhandlungen der Mitgliedstaaten über den nächsten EU-Mehrjahreshaushalt kamen nur am Rande der Beratungen zur Sprache. Parlamentspräsident David Sassoli gab den Mitgliedstaaten die Schuld am fehlenden Fortschritt. Merkel als Vertreterin der amtierenden EU-Ratspräsidentschaft zeigte sich zuversichtlich, dass die Probleme überwunden werden können.

by Von Peter EßER und Martin TRAUTH