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EU reagiert mit Sanktionen gegen Belarus auf erzwungene Flugzeug-Landung

Staats- und Regierungschefs fordern sofortige Freilassung von Oppositionellem

Die erzwungene Landung eines Ryanair-Flugzeugs in Minsk und die Festnahme eines bekannten Oppositionellen haben für Belarus Konsequenzen: Die EU-Staats- und Regierungschefs brachten am Montagabend neue Sanktionen gegen das autoritär regierte Land auf den Weg. Sie vereinbarten die Sperrung des Luftraums für Flugzeuge aus Belarus sowie ein Landeverbot auf EU-Flughäfen und forderten die sofortige Freilassung des Oppositionellen Roman Protasewitsch.

In ihrer Gipfelerklärung riefen die Staats- und Regierungschefs Airlines aus der EU zudem auf, den Luftraum von Belarus nicht mehr zu überfliegen. Den EU-Ministerrat beauftragten sie damit, "gezielte Wirtschaftssanktionen" gegen das Land zu verhängen. Auch solle die EU-Sanktionsliste gegen belarussische Vertreter und Organisationen ausgeweitet werden.

Belarus hatte am Sonntag eine Ryanair-Maschine auf dem Weg von Athen nach Vilnius unter dem Vorwand einer Bombendrohung und mit einem Kampfjet zur Zwischenlandung in Minsk gezwungen. Dort wurden der in Polen und Litauen im Exil lebende Oppositionelle Roman Protasewitsch und seine aus Russland stammende Freundin festgenommen.

Der EU-Gipfel verurteilte das Vorgehen "auf das Schärfste" und verlangte die "sofortige Freilassung" von Protasewitsch und seiner Partnerin, Sofia Sapega. Die internationale Zivilluftfahrtorganiation ICAO riefen die Staats- und Regierungschefs auf, "diesen beispiellosen und inakzeptablen Vorfall dringend zu untersuchen". Die ICAO hat für Donnerstag eine Dringlichkeitssitzung einberufen.

Belarus hatte die erzwungene Landung mit einer Bombendrohung gegen das Flugzeuges durch die radikalislamische Hamas begründet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte diese Erklärung "vollkommen unglaubwürdig". Regierungssprecher Steffen Seibert sprach nach den Gipfel-Beschlüssen von einer "einmütigen und klaren Antwort (...) auf das inakzeptable Vorgehen der Führung von Belarus".

Die Festnahme Protasewitschs haben die belarussischen Behörden mittlerweile bestätigt. Das Staatsfernsehen veröffentlichte am Montag ein Video, in dem der Journalist die gegen ihn erhobenen Vorwürfe gesteht. "Ich werde weiter mit den Ermittlern zusammenarbeiten und gestehe, Massenproteste in der Stadt Minsk organisiert zu haben", sagt der 26-Jährige in der Aufnahme.

Protasewitsch war früher Chefredakteur des oppositionellen Telegram-Nachrichtenkanals Nexta. Über Nexta waren nach der von massiven Betrugsvorwürfen begleiteten Präsidentschaftswahl in Belarus im vergangenen August hunderttausende Demonstranten mobilisiert worden. Protasewitsch wird vorgeworfen, Massenproteste ausgelöst zu haben, worauf in Belarus bis zu 15 Jahre Haft stehen.

Wegen der Geschehnisse rund um die Präsidentenwahl und des massiven Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten sind bereits EU-Sanktionen gegen rund 90 Verantwortliche in Belarus in Kraft, auch gegen den autoritär regierenden Lukaschenko. Ein weiteres Sanktionspaket gegen rund 40 weitere Belarussen war bereits für Juni geplant.

Rückendeckung bekam Belarus von Russland, das sich "schockiert" über die Reaktion des Westens zeigte. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa schrieb auf Facebook, auch westliche Staaten hätten in der Vergangenheit "Entführungen, erzwungene Landungen und illegale Festnahmen" begangen.

Der EU-Gipfel beschäftigte sich nach der Debatte zu Belarus am Montagabend noch mit den jüngsten Spannungen mit Moskau. Dabei geht es insbesondere um das EU-Mitglied Tschechien, das dem russischen Geheimdienst vorwirft, für die Explosion eines Munitionslagers im Jahr 2014 verantwortlich zu sein.

Weitere Themen waren das Verhältnis zu Großbritannien nach dem Brexit und die Vorbereitung des Gipfels mit US-Präsident Joe Biden Mittel Juni. Auch die jüngste Eskalation im Nahost-Konflikt sollte Thema sein. Italiens Regierungschef Mario Draghi wollte angesichts steigender Ankunftszahlen von Flüchtlingen zudem über das Thema Migration reden. Am Dienstag geht es dann um die Klimapolitik und die Corona-Pandemie.

by Von Peter EßER und Martin TRAUTH