Nach fünf Jahren hat das EU-Parlament einen Schlussstrich unter die Brexit-Saga gezogen. Die Abgeordneten stimmten am Mittwoch mit überwältigender Mehrheit einem Handels- und Partnerschaftsvertrag zu, der die Beziehungen auf eine neue Grundlage stellt. Der britische Premierminister Boris Johnson begrüßte das Votum als "letzten Schritt auf einer langen Reise". Aus der EU kamen jedoch bereits Warnungen an London, sich auch tatsächlich an die Vereinbarung zu halten.
Großbritannien war nach dem Brexit im vergangenen Jahr zum 1. Januar auch aus dem EU-Binnenmarkt und der europäischen Zollunion ausgetreten. Das als Ersatz geschlossene Abkommen sieht im beiderseitigen Handel den Verzicht auf jegliche Zölle und mengenmäßige Beschränkungen vor.
Wie EU-Parlamentspräsident David Sassoli in Brüssel sagte, stimmten bei 697 abgegebenen Stimmen 660 Abgeordnete für das Abkommen. Nur fünf Vertreter des Parlaments lehnten es ab, 32 enthielten sich.
Bisher ist die Vereinbarung bis Ende April nur vorläufig in Kraft. Nach der Zustimmung des Parlaments müssen nun die Mitgliedstaaten die Veröffentlichung des Abkommens im EU-Amtsblatt beschließen, wodurch dieses voraussichtlich am Freitag endgültig in Kraft treten kann.
Die Ratifizierung werde "Stabilität" in den neuen Beziehungen mit dem Kontinent als wichtigem Handelspartner und engem Verbündeten auf der Basis souveräner Gleichberechtigung schaffen, erklärte Johnson, der vor dem Brexit-Referendum der Briten im Juni 2016 einer der Verfechter des EU-Austritts war. Sein Land könne nun "in die Zukunft blicken und ein globaleres Britannien" aufbauen.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verwies darauf, dass der Handel mit Großbritannien zuletzt stark zurückgegangen ist. "Das zeigt: die Wirtschaft braucht verlässliche Regeln", erklärte der Minister. Wegen nun wieder nötiger Zollformalitäten und Startschwierigkeiten waren die EU-Exporte nach Großbritannien im Januar und Februar um 20 Prozent eingebrochen, die Ausfuhren aus Großbritannien in die EU sogar um 47 Prozent.
Das Abkommen sei "das Fundament für eine starke und enge Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich", erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter. Sie forderte Großbritannien auf, die Vereinbarung "gewissenhaft" umzusetzen. Die Kommissionschefin hatte der Regierung in London am Dienstag mit Sanktionen gedroht, sollte sie gegen Bestimmungen des neuen Abkommens verstoßen.
Denn die EU hat mit dem bereits geltenden Brexit-Vertrag schlechte Erfahrungen gemacht. Das EU-Parlament hatte die Ratifizierung des Handelsdeals lange hinausgezögert, weil Großbritannien einseitig Vereinbarungen zu Zollkontrollen in der britischen Provinz Nordirland aufgekündigt hatte. Die EU hofft nun, durch Sanktionsmöglichkeiten im Handelsabkommen mehr Druck auf London ausüben zu können.
"Durch die Ratifizierung erhält die EU rechtliche Mittel an die Hand, um Verstöße gegen das Austrittsabkommen zu ahnden", erklärte der Vorsitzende des Außenausschusses im EU-Parlament, David McAllister (CDU). "So ist es möglich, Teile des Handels- und Kooperationsabkommens auszusetzen oder britische Importe mit Zöllen zu belegen."
McAllister betonte gleichzeitig, dass es "weitere offene Fragen" in den beiderseitigen Beziehungen gebe. Deshalb werde sich das Abkommen "mit der Zeit weiterentwickeln müssen".
Tatsächlich fehlen in dem Handels- und Parternschaftsabkommen wichtige Bereiche der Zusammenarbeit. So lehnte es Großbritannien ab, eine enge Kooperation im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik zu vereinbaren. Offen ist zudem die Frage des Zugangs der wichtigen britischen Finanzbranche zum Kontinent.
Wie viele Abgeordnete bedauerte die FDP-Europapolitikerin Nicola Beer, dass Großbritannien aus Kostengründen nicht mehr am Studentenaustauschprogramm Erasmus plus teilnimmt. Hierfür brauche es "dringend einen gebührenden Ersatz", erklärte sie. Denn gegenseitiges Verständnis wachse "aus gegenseitigem Erleben".
by Von Martin TRAUTH