Durchbruch in Brüssel: Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich mit Polen und Ungarn im Streit um den europäischen Haushalt und den Corona-Hilfsfonds geeinigt. Damit könne das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket nun umgesetzt werden, erklärte EU-Ratspräsident Charles Michel am Donnerstag. Viel Lob, aber auch Kritik gab es für den deutschen EU-Vorsitz, der den Kompromiss vorbereitet hatte. Ungarn und Polen sahen sich als Gewinner.
Mit dem Finanzdeal billigte der Gipfel auch den umstrittenen Mechanismus zur Kürzung von EU-Geldern bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit. Ungarn und Polen hatten Mitte November deswegen ihre Zustimmung zum EU-Haushaltsrahmen für die kommenden sieben Jahre und dem Corona-Hilfsfonds verweigert.
Ohne Lösung hätte der EU ab Januar ein Nothaushalt mit drastischen Kürzungen gedroht. Auch der 750 Milliarden Euro schwere Hilfsfonds gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise hätte nicht starten können.
"Europa kommt voran", schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter. Sie gratulierte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu dem Erfolg. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte zum Auftakt des Treffens gesagt, sie habe persönlich in den vergangenen Tagen "sehr intensiv" an einem Kompromiss gearbeitet.
"Europa bewegt sich vorwärts, ist geeint und trägt seine Werte", erklärte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf Twitter. Europa habe "seine Handlungsfähigkeit" bewiesen, betonte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD). "Einsicht siegt über Egoismus." Scholz forderte, die Gesetzgebungsverfahren für das Finanzpaket nun "schnell abzuschließen". Denn die "Finanzmittel werden in vielen Ländern dringend gebraucht".
Sein Land habe "gewonnen" und ungarische Interessen erfolgreich verteidigt, erklärte Ungarns Regierungschef Viktor Orban auf Facebook. Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki sprach von einem "doppelten Sieg", weil sein Land viele Milliarden aus dem Haushalt erhalte und dieses Geld vor dem Rechtsstaatsmechanismus "sicher" sei.
Ein von Deutschland mit Ungarn und Polen ausgehandelter Kompromiss beinhaltet eine erläuternde Erklärung zu dem Rechtsstaatsmechanismus. Darin wird klargestellt, dass er nur dem Schutz des EU-Haushaltes und der finanziellen Interessen der Union dient - nicht aber der Ahndung allgemeiner Missstände bei Rechtsstaat und Demokratie, wegen derer Polen und Ungarn seit Jahren in der EU am Pranger stehen.
Gleichzeitig wird Warschau und Budapest zugesichert, dass zunächst keine Kürzungen von EU-Geldern erfolgen, wenn sie Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Regelung einreichen. Dies könnte die Anwendung des Mechanismus bis ins Jahr 2022 verzögern, sofern er von den Richtern in Luxemburg bestätigt wird.
"Wir bedauern, dass die EU bei der Verhängung von Sanktionen (...) auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs warten muss", erklärte die Grünen-Ko-Fraktionsvorsitzende Ska Keller. "Leider war die deutsche Ratspräsidentschaft nicht federführend beim Thema Rechtsstaatlichkeit."
Der finnische Parlamentsberichterstatter Petri Sarvamaa erklärte, die von Ungarn und Polen durchgesetzten Zusicherungen seien "nicht mehr als ein gesichtswahrendes Dokument". Die Bestimmungen zur Rechtsstaatlichkeit würden zum 1. Januar in Kraft treten. Selbst wenn die Kürzung von EU-Geldern zunächst nicht erfolgen könne, sei dies nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs auch rückwirkend möglich.
Mit dem Haushaltsdeal könnte auch die Einigung der Staats- und Regierungschefs auf das Klimaziel für das Jahr 2030 einfacher werden, über das diese nach mehreren Anläufen am späten Abend erneut verhandelten. Auf dem Tisch liegt dabei eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes in der EU um 55 Prozent.
Mehrere Länder insbesondere aus Osteuropa hatten Vorbehalte, weil ihre Wirtschaft noch stark auf Kohle ausgerichtet ist. Der neue Mehrjahreshaushalt sieht aber Milliardenhilfen vor, um den Mitgliedstaaten den Übergang zu einer klimafreundlichen Wirtschaft zu erleichtern.
by Von Martin TRAUTH und Peter EßER