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EU-Gipfel verärgert Großbritannien mit Forderung nach Zugeständnissen

London reagiert "enttäuscht" - Barnier bietet weitere Verhandlungen an

Mit der Forderung nach einseitigen Zugeständnissen im Brexit-Streit über ein Handelsabkommen hat der EU-Gipfel Verärgerung in London ausgelöst. Der britische Verhandlungsführer David Frost zeigte sich am Donnerstag "enttäuscht" über die Erklärung der Staats- und Regierungschefs. Premierminister Boris Johnson will demnach am Freitag darauf reagieren. Er müsste erklären, ob er die Verhandlungen scheitern lässt oder einen letzten Anlauf für eine Einigung unternimmt.

Der EU-Gipfel verlangte von London, "die notwendigen Schritte zu unternehmen", um ein Handelsabkommen zu ermöglichen. In ihren Gipfelschlussfolgerungen stellten die Staats- und Regierungschefs "mit Besorgnis" fest, dass es zweieinhalb Monate vor Ende der Brexit-Übergangsphase noch immer keine ausreichenden Fortschritte bei Schlüsselfragen gibt.

Verhandlungsführer Frost zeigte sich "überrascht" darüber, "dass alle künftigen Schritte von Großbritannien kommen müssen". Dies sei "eine ungewöhnliche Herangehensweise, um Verhandlungen zu führen", schrieb er auf Twitter. Er ließ offen, ob die britische Seite zu weiteren Gesprächen bereit ist. Johnson hatte im September gedroht, den Verhandlungstisch zu verlassen, falls es bis 15. Oktober keinen Durchbruch gebe.

Frosts europäischer Kollege Michel Barnier stellte London nach den Gipfel-Beratungen dennoch weitere Verhandlungen in Aussicht. Er wolle die Gespräche "beschleunigen" und werde am Freitag mit Frost sprechen, sagte der Franzose. Er bot an, bis Ende des Monats in London und Brüssel weiterzuverhandeln.

Großbritannien war zum 1. Februar aus der EU ausgetreten. Bis Ende des Jahres bleibt es aber noch im EU-Binnenmarkt und der Zollunion. Diese Übergangsphase wollten beide Seiten eigentlich nutzen, um ein Handelsabkommen auszuhandeln. Die Gespräche waren seit Monaten kaum vorangekommen. Hauptstreitpunkte sind faire Wettbewerbsbedingungen, die Kontrolle eines künftigen Abkommens und die Fangrechte für EU-Fischer in britischen Gewässern.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Brüssel, die EU wolle ein Handelsabkommen mit London, "aber natürlich nicht um jeden Preis". Ziel müsse "ein faires Abkommen sein, von dem beide Seiten profitieren können".

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bekräftigte, dass für ihn die Fischerei-Frage besonders wichtig ist. "Auf keinen Fall werden unsere Fischer die Opfer des Brexit sein", sagte er. Sie müssten weiter Zugang zu britischen Gewässern erhalten.

"Wir wissen sehr wohl, dass wir hier Anstrengungen unternehmen müssen", sagte der Franzose Barnier zum Thema Fischerei. Aber diese Anstrengungen müssten auch "vernünftig" sein und im Einklang mit dem stehen, was Großbritannien möglicherweise im Gegenzug erhalte, nämlich einen weitgehenden Zugang zum europäischen Binnenmarkt.

Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel sagte, die Fischerei-Frage habe für sein Land "nicht oberste Priorität". "Das heißt aber nicht, dass uns das egal ist." Denn die Stärke der EU in den Verhandlungen mit Großbritannien sei immer gewesen, gemeinsam die Interessen aller zu vertreten. "Geeint zu sein, ist unsere Stärke."

Die EU-Staats- und Regierungschefs verlangten in ihrer Erklärung von Johnson auch, gesetzliche Regelungen zur einseitigen Änderung des bereits in Kraft befindlichen Brexit-Vertrags nicht anzuwenden. Ratspräsident Charles Michel bekräftigte dies noch einmal: Der Austrittsvertrag und das damit verbundene Protokoll zu Irland und Nordirland "müssen vollständig umgesetzt werden, Punkt".

Gleichzeitig rief der Gipfel die Mitgliedstaaten, EU-Institutionen und Unternehmen auf, ihre Vorbereitungen für den Fall zu beschleunigen, dass es kein Abkommen geben wird. Die EU-Kommission solle zudem rechtzeitig "zeitlich befristete Notfallmaßnahmen" in Betracht ziehen.

by Von Peter EßER