Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich nicht auf eine gemeinsame Erklärung zum Nahostkonflikt einigen können. Wegen der Forderung einiger Ländern, sich kritischer gegenüber Israel zu positionieren, war eine Verständigung beim EU-Gipfel am Freitag in Brüssel nicht möglich. EU-Ratspräsident Charles Michel versuchte, die Differenzen zu relativieren: Manche Länder hätten sich für "humanitäre Pausen" im Gazastreifen ausgesprochen, andere für eine "humanitäre Waffenruhe".
Grundsätzlich herrsche aber sehr große Einigkeit darin, dass sich Israel gegenüber der Hamas im Einklang mit dem Völkerrecht verteidigen dürfe, sagte Michel weiter. "Es gibt dazu intensive Diskussionen innerhalb der Union", sagte Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer. "Aber das, was uns eint, ist ein klares Bekenntnis zu humanitärer Hilfe für die Menschen vor Ort."
Irland, Belgien, Spanien und Malta hatten sich für eine Waffenruhe im Gazastreifen eingesetzt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte dagegen erneut: "Israel hat das Recht, sich und seine Bürgerinnen und Bürger gegen diesen Angriff zu verteidigen." Klar sei natürlich, dass dies im Rahmen des humanitären Völkerrechts geschehen müsse.
Der irische Regierungschef Leo Varadkar kritisierte die Haltung von Deutschland, Österreich und anderen. Diese Länder glaubten, dass die Forderung nach einer Waffenruhe "Israel daran hindern würde, die Hamas-Terroristen zu verfolgen", sagte er. "Dieser Auslegung kann ich nicht zustimmen. Man kann Terroristen verfolgen, ohne sich auf die Art von Krieg und Zerstörung einzulassen, die Israel im Moment in Gaza betreibt."
Varadkar forderte mehr Druck auf die israelische Regierung. "Ihr Versagen, den Palästinensern einen eigenen Staat zuzugestehen", müsse die Beziehungen zwischen Israel und der EU in der Zukunft beeinträchtigen. "Es wird nicht mehr so sein, wie es vor diesem Krieg war." Belgiens Regierungschef Alexander De Croo pflichtete ihm bei: "Das Töten von unschuldigen Zivilisten muss jetzt wirklich aufhören."
Der slowakische Regierungschef Robert Fico kritisierte eine zu diplomatische Sprache gegenüber Israel: "Wir können zum Beispiel nicht laut sagen, dass in Gaza in zwei Monaten mehr Kinder gestorben sind als im ganzen Jahr 2023 weltweit in kriegerischen Auseinandersetzungen", sagte Fico, der bislang weder als ausgesprochener Verteidiger Israels noch der Palästinenser aufgefallen war.
Spanien, Irland, Belgien und Malta hatten zuvor in einem gemeinsamen Brief eine "ernsthafte Debatte" über die "humanitäre Katastrophe" im Gazastreifen gefordert. Israel-nahe Länder wie Deutschland oder Österreich gerieten damit unter Druck, gaben aber offenbar nicht nach. Im Entwurf einer Erklärung für den EU-Gipfel war ein Platzhalter für einen Teil zum Nahostkonflikt vorgesehen. Nach AFP-Informationen wird dieser Teil nun entfallen.
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