Der ungarische Regierungschef Viktor Orban hat ein Gipfeltreffen im spanischen Granada für eine neue Breitseite gegen die Europäische Union genutzt. Er kritisierte am Freitag nicht nur die Migrationspolitik mit drastischen Worten, sondern kündigte darüber hinaus auch eine Blockade neuer Milliardenhilfen für die Ukraine an.
Ungarn und Polen seien mit der jüngsten EU-Einigung zum Asylpaket "vergewaltigt" worden, sagte Orban. Beide Länder hatten am Mittwoch in Brüssel als einzige Staaten gegen die sogenannte Krisenverordnung gestimmt, die verschärfte Maßnahmen im Fall der Ankunft besonders vieler Migranten in Europa vorsieht. Budapest und Warschau wurden aber überstimmt.
Deshalb drohten Orban und der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki am Freitag mit einer Blockade der "Erklärung von Granada" der 27 EU-Staaten, wie es von Diplomaten übereinstimmend hieß. Beide Länder hatten zuvor erfolglos auf eine Textänderung gepocht, um einstimmige Beschlüsse statt Mehrheitsentscheidungen bei der Flüchtlingspolitik zu erreichen.
Orban holte in Granada aber noch weiter aus: parallel zu dem Gipfeltreffen verbreitete er ein Video, in dem er die Budgetvorschläge aus Brüssel als eine einzige "Schlamperei" kritisiert. "Brüssel ist auf die Idee gekommen, der Ukraine bedingungslos Kriegsgeld für weitere vier Jahre zu geben", wettert er in dem Film, der mit düsterer Musik unterlegt ist. "Statt Frieden wollen sie dieses Geld, um das fortgesetzte Töten zu unterstützen."
Die EU-Kommission schlägt für die kommenden Jahre weitere 70 Milliarden Euro an Ukraine-Hilfen vor. Ein Teil davon soll aus einem erweiterten EU-Budget fließen, auf das sich die Mitgliedsländer noch einstimmig einigen müssen. Ungarn hat also eine Vetomöglichkeit.
Noch am Donnerstag hatte sich der ungarische Regierungschef in Granada dabei fotografieren lassen, wie er dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Hand schüttelte. Allerdings wird Orban eine Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin nachgesagt. Ungarn ist das einzige Land, das inzwischen mehr Gas aus Russland bezieht als zu Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022.
Mit Gaslieferungen begründete Orban in Granada auch seine ablehnende Haltung zu Sanktionen gegen Aserbaidschan im Militärkonflikt um die Kaukasusregion Bergkarabach. "Ohne Aserbaidschan können wir bei Energie nicht unabhängig werden", sagte der ungarische Regierungschef. Aserbaidschan sei "ein großartiges Land, wir brauchen es", betonte er.
Sanktionsbeschlüsse müssen in der EU einstimmig fallen. Auch Deutschland und Frankreich sehen Sanktionen gegen Aserbaidschan skeptisch.
Trotz Orbans Fundamentalkritik bekam er beim "Familienfoto" der Staats- und Regierungschefs in Granada eine prominente Rolle in der ersten Reihe. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) musste sich dagegen mit einem hinteren Platz begnügen. Dies verdankt Orban seiner langen Regierungszeit. Er ist seit 2010 Regierungschef und hatte das Amt zuvor bereits von 1998 bis 2002 inne.
Die Streitigkeiten könnten bei den nächsten regulären EU-Gipfeln in Brüssel eskalieren. Diplomaten rechnen vor allem Mitte Dezember mit einer tagelangen Hängepartie. Dann geht es um das Mehrjahresbudget der EU und den Wunsch der Ukraine nach einem Start der Beitrittsgespräche.
lob/gt