Die Ukraine hat die Europäische Union vor einem Scheitern ihres Brüsseler Gipfeltreffens am Donnerstag und Freitag gewarnt. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sagte vor Beratungen mit seinen EU-Kollegen in Brüssel, es hätte "verheerende Konsequenzen", wenn die Staats- und Regierungschefs nicht wie geplant den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beschließen würden. Ungarns Regierungschef Viktor Orban droht mit einem Veto.
"Ich will gar nicht erst über die verheerenden Konsequenzen sprechen, die eintreten, wenn der Rat diese Entscheidung nicht trifft", sagte Kuleba. Dies gelte sowohl für die Ukraine wie auch für die EU-Erweiterung insgesamt.
Darüber hinaus hatte sich Orban ablehnend über weitere milliardenschwere Wirtschafts- und Militärhilfen für Kiew sowie neue EU-Sanktionen gegen Russland geäußert. All diese Beschlüsse erfordern Einstimmigkeit unter den 27 Mitgliedsländern.
Besorgt äußerte sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell: "Ich hoffe, dass Europas Einheit nicht zerbricht", sagte der Spanier. "Das ist nicht der Zeitpunkt, um unsere Unterstützung für die Ukraine zu schwächen."
Die deutsche Europa-Staatsministerin Anna Lührmann (Grüne) betonte mit Blick auf Ungarn, die 26 anderen Mitgliedsländer wollten den Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Sie erwarte, "dass wir diese Entscheidung dann auch treffen". Lührmann vertrat in Brüssel Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die an der Weltklimakonferenz in Dubai teilnimmt.
Lettlands Außenminister Krisjanis Karins rief die EU-Kommission auf, Milliardenhilfen für Ungarn freizugeben, die im Streit um Rechtsstaats-Mängel blockiert sind. Das wäre "hilfreich", um Fortschritte mit Budapest zu erzielen, sagte Karins. Andere Länder warnen vor einem solchen Schritt. Sie werfen Orban "Erpressung" vor und fürchten Schäden für Europas Glaubwürdigkeit.
Die finnische Außenministerin Elina Valtonen nannte Orbans Haltung "sehr, sehr bedauerlich". Die EU müsse der Ukraine bei der Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg helfen, solange dies nötig sei – auch im eigenen Sicherheitsinteresse.
Für große Unsicherheit in der EU sorgt aber auch der deutsche Haushalts-Streit: "Die Situation in der deutschen Regierung und das Verfassungsgerichts-Urteil machen einige Dinge ein wenig schwieriger", sagte Karins.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den Mitgliedsländern für das kommende Jahr Wirtschaftshilfen von 50 Milliarden Euro für die Ukraine vorgeschlagen. Davon sollen 17 Milliarden als Zuschüsse fließen, die Kiew nicht zurückzahlen muss. Borrell fordert für 2024 zudem weitere fünf Milliarden Euro für einen Militärhilfe-Fonds, aus dem sich Mitgliedsländer Waffenlieferungen an die Ukraine teilweise zurückerstatten lassen können.
Deutschland müsste als größte Volkswirtschaft mindestens ein Fünftel dieser Mittel zuschießen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte aber bereits vor dem Karlsruher Urteil deutlich gemacht, dass er bilaterale Hilfen für die Ukraine auf die deutschen EU-Beiträge anrechnen will. Die Bundesregierung hatte Kiew zuletzt acht Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Neue deutsche Zusagen im Rahmen der EU wären damit nicht zu erwarten.
lob/ck