Erstmals seit dem Sturz des langjährigen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika vor gut zwei Jahren ist in Algerien eine Parlamentswahl abgehalten worden. Rund 24 Millionen Menschen waren am Samstag aufgerufen, 407 Abgeordnete für eine Amtszeit von fünf Jahren zu bestimmen. Die Abstimmung wurde im Vorfeld von Massenfestnahmen und Boykottaufrufen überschattet.
Es zeichnete sich eine schwache Wahlbeteiligung ab. Bis 16.00 Uhr (Ortszeit, 17.00 Uhr MESZ) beteiligten sich nur 14,47 Prozent der Stimmberechtigten, wie der Chef der Wahlkommission, Mohamed Chorfi, mitteilte. Die Öffnungszeit der Wahllokale wurde um eine Stunde auf 20.00 Uhr verlängert. Die Ergebnisse werden nicht vor Sonntag erwartet.
Die Protestbewegung Hirak und ein Teil der Opposition hatten ihre Anhänger dazu aufgerufen, der Abstimmung fernzubleiben. Die Hirak-Bewegung kritisiert die Parlamentswahl als "Augenwischerei". Sie fordert einen radikalen demokratischen Umbau des politischen Systems in Algerien und ging dafür in den vergangenen Monaten wieder wöchentlich auf die Straße.
Seit Mai gehen die Behörden in Algerien aber wieder verstärkt gegen die inzwischen verbotene Protestbewegung vor. In den vergangenen Wochen wurden hunderte Aktivisten festgenommen.
Vor der Wahl wurden auch sieben führende Vertreter der Hirak-Bewegung inhaftiert. In der Hauptstadt Algier sollte ein massives Polizeiaufgebot am Wahltag offenbar Proteste der Regierungsgegner verhindern.
Wie die Algerische Liga für die Verteidigung der Menschenrechte (LADDH) und die Organisation für die Rechte von Gefangenen CNLD mitteilten, blieben in den Oppositionshochburgen Bejaia und Tizi Ouzou in der überwiegend von ethnischen Berbern bewohnten Region Kabylei die meisten Wahllokale geschlossen. Dort seien auch Wahlurnen geplündert worden und Handgemenge ausgebrochen.
Nach Angaben der beiden Organisationen gab es in der Kabylei Dutzende Festnahmen. Laut CNLD wurden auch in Algier und in der nahegelegenen Stadt Boumerdès Menschen abgeführt.
Experten rechnen bei der Wahl mit großen Verlusten für die etablierten Parteien Nationale Befreiungsfront (FLN) und Demokratische Nationalversammlung (RND). Von den Boykottaufrufen könnten islamistische Parteien profitieren.
Im Jahr 2019 hatte Hirak hunderttausende Demonstranten mobilisiert und den langjährigen Staatschef Abdelaziz Bouteflika zum Rücktritt gezwungen. Präsident Abdelmadjid Tebboune, der unter Bouteflika Regierungschef gewesen war, ist der Auffassung, die Hauptforderungen der Protestbewegung in "Rekordzeit" erfüllt zu haben. Hirak sieht dagegen weiterhin die alte Garde aus Bouteflika-Zeiten an der Macht.
by Von Abdellah CHEBALLAH