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Ermordung des Lehrers Samuel Paty: Sechs Verdächtige vor Pariser Jugendgericht

Am Anfang stand eine Lüge einer 13-Jährigen, es folgte eine Hetzkampagne in den Onlinediensten, zehn Tage später wurde der französische Lehrer Samuel Paty von einem 18 Jahre alten Dschihadisten in der Nähe seiner Schule enthauptet. Das Mädchen sowie fünf Schüler, die damals 14 oder 15 Jahre alt waren und dem Attentäter geholfen hatten, den Lehrer ausfindig zu machen, stehen seit Montag in Paris vor einem Jugendgericht. 

Die Angeklagten erschienen teils mit Sonnenbrille oder medizinischer Maske vor dem Gesicht, in Begleitung ihrer Eltern oder Anwälte. Auch die Eltern des Lehrers sowie mehrere seiner früheren Kolleginnen und Kollegen kamen zum Prozessauftakt. Das Verfahren findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und soll bis zum 8. Dezember dauern. Ein weiterer Prozess gegen acht erwachsene Angeklagte, die unter anderem an der Hetzkampagne beteiligt gewesen sein sollen, ist für Ende 2024 geplant. 

"He Kleiner, komm mal her, ich hab was für dich" - mit diesen Worten soll der 18 Jahre alte Abdulach Ansorow einen der Schüler angesprochen haben. Er habe ihm 300 Euro angeboten, um ihm Samuel Paty zu zeigen. Ansorow habe ihm gesagt, er wolle den Lehrer "filmen, wie er sich entschuldigt". 

Der Schüler habe das Angebot angenommen, aber noch vier andere dazugeholt, weil er es nicht allein habe tun wollen. Vor den Ermittlern sagten die Jugendlichen unter Tränen aus, dass sie nie damit gerechnet hätten, dass ihr Auftraggeber den Lehrer töten wollte. Sie sind wegen krimineller Vereinigung zur Vorbereitung einer schweren Gewalttat angeklagt und müssen im Fall einer Verurteilung mit zweieinhalb Jahren Freiheitsentzug rechnen. 

Der 47 Jahre alte Paty hatte in einer Unterrichtsstunde zum Thema Meinungsfreiheit umstrittene Mohammed-Karikaturen gezeigt. Zuvor hatte er seinen Schülerinnen und Schülern freigestellt, den Raum zu verlassen, falls sie diese nicht sehen wollten. Diese Vorsichtsmaßnahme wurde ihm zum Verhängnis. 

Die nun angeklagte Schülerin - die an dem Tag gar nicht zum Unterricht erschienen war - erzählte ihrem Vater, der Lehrer habe gezielt muslimische Schüler aus der Klasse geschickt, um den anderen erniedrigende Darstellungen Mohammeds zu zeigen. Ihr ebenfalls angeklagter Vater verbreitete diese Version in Onlinediensten, die Hetzkampagne nahm ihren Lauf. Die Schülerin ist wegen Verleumdung angeklagt und muss im Fall einer Verurteilung ebenfalls mit bis zu zweieinhalb Jahren Haft rechnen. 

Der aus Tschetschenien stammende Ansorow war mit fünf Jahren mit seiner Familie aus Russland nach Frankreich gekommen. Er hatte zum Tatzeitpunkt eine Aufenthaltserlaubnis und war seit mehreren Monaten radikalisiert. Den Lehrer kannte er nicht. Er lauerte ihm am 16. Oktober 2020 vor der Schule auf und tötete ihn mit Messerstichen. 

"Auch wenn Abdulach Ansorow allein gehandelt hat, ist das Verbrechen das Ergebnis einer Reihe von strafbaren Aktionen", heißt es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Paty sei vor der Tat "sehr besorgt" gewesen mit Blick auf "das Ausmaß und die Aggressivität der Polemik". 

Fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem Mord an Paty hatte ein weiterer tödlicher Angriff eines jungen Dschihadisten auf einen Lehrer das Land erschüttert. Der ebenfalls aus Russland stammende 20 Jahre alte Mohammed M., der sich zum Dschihadismus bekannte, erstach in Arras den Geschichtslehrer Dominique Bernard. Er wurde festgenommen und ließ durch seinen Anwalt mitteilen, dass er sich im Prozess äußern wolle. 

kol/oer