Seit dem Beginn der Invasion in der Ukraine war die Türkei Zufluchtsort für Menschen und Geld aus Russland. Dem Land bringt dies zahlreiche Vorteile. Viele Russen sind in die Türkei gekommen, um der Einberufung zur Armee zu entgehen, ihre Ersparnisse außerhalb der wegen des Ukraine-Kriegs des russischen Präsidenten Wladimir Putin sanktionierten russischen Wirtschaft anzulegen oder Unternehmen zu gründen. Nun braucht Erdogan Putin für die Wiederwahl – wird die Türkei zum Problem für die NATO?
Die Türkei hat die Neuankömmlinge und ihr Geld weitgehend willkommen geheißen. In gewissem Maße hat sich dadurch das Gesicht türkischer Städte verändert. Für die Türkei ist die Aufrechterhaltung und sogar Vertiefung der Beziehungen zu Russland bei gleichzeitiger Beibehaltung ihrer Stellung als eines der größten Nato-Mitglieder ein schwieriger, aber dringend notwendiger Balanceakt. Erdogan steht im Mai vor seiner vielleicht schwierigsten Wahl, und die russische Unterstützung könnte ihm dabei helfen, einen weiteren Wahlsieg zu erringen. Denn vor allem wegen der schwachen Lira hat sich in den letzten Monaten eine heftige Inflation entwickelt, die die Unzufriedenheit vieler Türken hat wachsen lassen. Die Folgen dieser Entwicklung konnte durch die zahlreichen in die Türkei übergesiedelten Russen ein wenig eingedämmt werden.
Offiziell unterstützt die Türkei als NATO-Mitglied die Ukraine. An Waffen gab es allerdings lediglich einige wenige Drohnen. Die Türkei bietet Russland eine Chance, stellt aber auch eine Bedrohung dar. Ein aggressives Russland, das die ukrainischen Küstenstädte kontrolliert, ist sicherlich nicht im Interesse der Türkei, aber auch nicht der Aufbau eines kurdischen Staates in Nordsyrien. Dort arbeitet man seit einiger Zeit in enger Abstimmung mit den Russen zusammen. Die Unterstützung der Türkei für die Ukraine ist kein entscheidender Faktor in diesem Krieg und sie überschreitet nicht die roten Linien Moskaus. In wirtschaftlicher Hinsicht hat Russland die türkische Wirtschaft mit enormen Kapitalzuflüssen gestützt und sogar ein Auge zugedrückt, als Ankara Kiew in begrenztem Umfang Waffen lieferte. Zudem hatte Erdogan auch erfolgreich die Lieferung von ukrainischem Weizen verhandelt. Russland dürfte also auf jeden Fall ein Interesse daran haben, dass Erdogan wiedergewählt wird. Denn eine Niederlage des amtierenden Präsidenten könnte auch für Russland neue Probleme und eine ungewissen Zukunft mit sich bringen.
