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Empörung und Sanktionsdrohungen gegen Belarus nach erzwungener Flugzeuglandung

EU fordert Freilassung von festgenommenem Oppositionellen

Nach der erzwungenen Landung eines Ryanair-Fliegers in Minsk und der Festnahme eines bekannten Exil-Oppositionellen drohen Belarus schärfere Sanktionen. Die EU-Staats- und Regierungschefs wollten sich am Montagabend bei ihrem Gipfel mit dem Vorfall befassen, der von einigen europäischen Ländern als "Staatsterrorismus" und "Flugzeugentführung" eingestuft wurde. Frankreich forderte ein Überflugverbot für den belarussischen Luftraum. Die Nato sprach von einem "ernsten und gefährlichen Vorfall" und berief für Dienstag Beratungen ihrer Botschafter ein. Minsk wies die Vorwürfe zurück.

Die Ryanair-Maschine befand sich am Sonntag auf einem Flug von Athen nach Vilnius, als sie von einem belarussischen Kampfjet vom Typ MiG-29 unter dem Vorwand einer Bombendrohung zu einer Notlandung gezwungen wurde. Am Flughafen von Minsk wurden der Regierungskritiker und ehemalige Chefredakteur des belarussischen Oppositionskanals Nexta, Roman Protasewitsch, und seine aus Russland stammende Freundin festgenommen.

"Dieser beispiellose Vorfall" werde "nicht ohne Konsequenzen bleiben", kündigte EU-Ratspräsident Charles Michel an. "Dies ist ein weiterer offensichtlicher Versuch der belarussischen Behörden, alle Stimmen der Opposition zum Schweigen zu bringen", hieß es in einer am Montag veröffentlichten Erklärung im Namen aller EU-Mitgliedstaaten. Sie forderten die "sofortige Freilassung" des 26-Jährigen. Ähnlich äußerte sich Amnesty International.

Protasewitsch war früher Chefredakteur des oppositionellen Telegram-Nachrichtenkanals Nexta. Über Nexta waren nach der von massiven Betrugsvorwürfen begleiteten Präsidentschaftswahl in Belarus im vergangenen August hunderttausende Demonstranten mobilisiert worden. Protasewitsch wird vorgeworfen, Massenproteste ausgelöst zu haben, worauf in Belarus bis zu 15 Jahre Haft stehen.

Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen bei ihrem Gipfeltreffen über schärfere Sanktionen gegen Belarus beraten. Wegen Menschenrechtsverletzungen sind bereits EU-Sanktionen gegen rund 90 Verantwortliche in Belarus in Kraft, auch gegen den autoritär regierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko.

Frankreich forderte ein Überflugverbot für den belarussischen Luftraum, damit Minsk Einnahmen aus dem Luftverkehr entgehen. Dies müsse so schnell wie möglich geprüft werden, sagte Europa-Staatssekretär Clément Beaune dem Sender RMC.

Auch Litauen und Lettland forderten, dass internationale Flüge nicht mehr den belarussischen Luftraum durchqueren sollten. Die lettische Fluggesellschaft AirBaltic kündigte an, den Luftraum vorerst zu meiden. Die Lufthansa nutzt ihn nach Angaben einer Sprecherin zunächst regulär weiter. Die Situation werde aber beobachtet.

Irland warf Belarus "Luftpiraterie" vor. Irlands Außenminister Simon Coveney forderte, "harte Kante" gegen die Regierung von Lukaschenko zu zeigen. Es dürfe nicht bei "Warnungen und scharfen Pressemitteilungen" bleiben, mahnte er. Zuvor hatte die Regierung in Polen den Vorfall bereits als "Staatsterrorismus" verurteilt. Protasewitsch lebte teils in Polen, teils in Litauen im Exil.

Ryanair hat in Irland seinen Sitz. Unternehmenschef Michael O'Leary sprach von einem beispiellosen Vorgang. "Ich denke, es ist das erste Mal, dass so etwas einer europäischen Airline passiert", sagte er im irischen Rundfunk. "Es war eine staatlich geförderte Entführung." Er gehe auch davon aus, dass an Bord der Ryanair-Maschine Agenten des belarussischen Geheimdienstes KGB gewesen seien.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) erklärte, "dass ein Flug zwischen zwei EU-Staaten unter dem Vorwand einer Bombendrohung zur Zwischenlandung gezwungen wurde", sei "ein gravierender Eingriff in den zivilen Luftverkehr in Europa".

Belarus wies die Vorwürfe zurück. Die Behörden hätten völlig legal auf eine "Bombendrohung" reagiert, erklärte das Außenministerium. "Es besteht kein Zweifel, dass die Handlungen unserer zuständigen Stellen den internationalen Regeln entsprachen." Das Ministerium warf dem Westen vor, den Vorfall mit Hilfe "unbegründeter Anschuldigungen" politisch zu instrumentalisieren.

Russland zeigte sich "schockiert" über die Reaktion des Westens. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa schrieb auf Facebook, auch westliche Staaten hätten in der Vergangenheit "Entführungen, erzwungene Landungen und illegale Festnahmen" begangen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow forderte eine Beurteilung des Vorgangs durch die "internationalen Luftfahrtbehörden". Die USA hatten die Vorgänge in Minsk zuvor "auf das Schärfste" verurteilt.

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