Zu den in deutschen Unternehmen angebotenen Corona-Schnelltests gehen die Einschätzungen weit auseinander. Die deutsche Wirtschaft sieht sich bei den Angeboten für ihre Beschäftigten voll auf Kurs - einer Studie dagegen standen zumindest bis Ende März der Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine hinreichenden Testangebote zur Verfügung. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) drohte mit staatlichen Verordnungen.
"Zwischen 80 und 90 Prozent der deutschen Unternehmen testen oder bereiten den Teststart unmittelbar vor", erklärten die großen Industrie-, Handwerks- und Handelsverbände in einem am Dienstag öffentlich gewordenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Der freiwillige Ansatz zeige trotz der kurzen Vorbereitungszeit "Wirkung".
Eine Testverpflichtung oder eine Vorgabe zur Dokumentation der Ergebnisse, wie sie in einzelnen Bundesländern eingeführt worden sei, sei kontraproduktiv und bremse nur das Engagement, hieß es weiter. Unterzeichnet wurde der Brief vom Bundesverband der Deutschen Industrie, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, dem Zentralverband des Deutschen Handwerks sowie dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag.
In dem Schreiben räumten die Wirtschaftsverbände zugleich auch "Herausforderungen" bei der von ihnen selbst mitorganisierten Kampagne zur Einführung flächendeckender Corona-Schnelltests in Betrieben ein. Dazu gehörten Liefer- sowie Beschaffungsprobleme, eine aufwendige Organisation der Testungen und eine "zögerliche Annahme des Testangebots bei Beschäftigten". In großen Firmen seien Tests organisatorisch und logistisch leichter umzusetzen als in kleineren.
Laut einer am Dienstag veröffentlichten Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gaben nur 23 Prozent der Befragten an, dass in ihrem Betrieb alle Präsenzbeschäftigten wenigstens einmal pro Woche einen Schnelltest machen können. Für 54 Prozent dagegen gebe es weder Schnelltests noch sei ein entsprechendes Angebot angekündigt.
Ausgewertet wurden in der zweiten Märzhälfte 2832 Datensätze des Portals lohnwir, das vom WSI betreut wird. Für sechs Prozent der Betroffenen wurden laut WSI zwar Schnelltests im Betrieb angeboten, jedoch nicht im vorgesehenen Umfang von mindestens einmal wöchentlich für alle. 17 Prozent gaben an, der Arbeitgeber habe die Bereitstellung von Schnelltests angekündigt, dies aber noch nicht umgesetzt. WSI-Expertin Elke Ahlers mahnte wegen der Versäumnisse bei den Testangeboten die Arbeitgeber zur Beachtung ihrer Fürsorgepflichten für die Beschäftigten.
Finanzminister Scholz sagte in Berlin, sein Eindruck sei, dass beim Homeoffice "noch mehr möglich wäre". Das gelte "auch für das Testen in Unternehmen". Die Regierung wolle in dieser Woche auswerten, inwieweit hier ein flächendeckendes Angebot erreicht worden sei. Gelinge dies auf freiwilliger Basis nicht, "dann müssen wir mit unseren rechtlichen Möglichkeiten handeln", kündigte Scholz an. Eine Pflicht zu Testangeboten im Betrieb gibt es bereits in Sachsen und Berlin.
Auf ein härteres Vorgehen drängte die Linken-Politikerin Jutta Krellmann. Jetzt sei es "genug mit dem Larifari bei den Corona-Schnelltests am Arbeitsplatz", erklärte sie in Berlin. Freiwillig machten viele Arbeitgeber hier gar nichts. Krellmann forderte daher "ein Recht auf regelmäßige Corona-Tests für alle Beschäftigten, und zwar auf Arbeitgeberkosten". Zudem müssten Betriebe mit massiven Corona-Ausbrüchen "dichtgemacht werden, bis es wieder sicher ist, dort zu arbeiten".
by Ina FASSBENDER