Bei Protesten gegen die Ernennung eines neuen Universitäts-Rektors in der Türkei durch Staatschef Recep Tayyip Erdogan haben die Sicherheitskräfte erneut dutzende Menschen festgenommen. Wie ein AFP-Fotograf berichtete, drängte die Polizei am Donnerstag Demonstranten mit Schildern zurück, die sich nach dem Aufruf mehrerer linker Gruppen im Istanbuler Stadtteil Kadiköy versammelt hatten. Dabei seien mindestens 20 Menschen festgenommen worden. Die EU äußerte sich besorgt.
Bei weiteren Protesten in den Städten Bursa, Canakkale und Samsun wurden Medienberichten zufolge mindestens 36 Demonstranten festgenommen. Die türkischen Behörden hatten ihr Vorgehen gegen die seit Wochen demonstrierenden Studenten zuletzt verschärft. Die Polizei setzte unter anderem Tränengas und Plastikgeschosse ein.
Nach Angaben des türkischen Innenministeriums vom Donnerstag wurden seit Januar 528 Menschen im Zusammenhang mit den Protesten festgenommen. 498 von ihnen seien wieder freigelassen worden.
Die EU kritisierte die Festnahme der Studenten. Brüssel sei "ernsthaft besorgt wegen der negativen Entwicklungen in der Türkei in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Justiz", erklärte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Die EU fordere die Freilassung der "willkürlich Festgenommenen", die nur von ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht hätten.
Die Demonstranten fordern nicht nur den Rücktritt des Rektors, sondern auch die Freilassung von vier Studenten - diese waren in Gewahrsam genommen worden, weil sie ein Bild mit der Regenbogenflagge der LGBT-Bewegung an der Bogazici-Universität aufgehängt hatten. "LGBT" steht für lesbisch, schwul, bisexuell und Transgender.
Die vier am Wochenende festgenommenen Studenten hatten ein wirr im Islam heiligen Kaaba in Mekka mit der Regenbogenflagge an der Bogazici-Universität aufgehängt. Ihnen wird "Anstiftung zum Hass" vorgeworfen. Zwei von ihnen befinden sich noch immer im Gefängnis, die beiden anderen wurden unter Hausarrest gestellt.
Erdogan verglich die Demonstranten am Mittwoch mit "Terroristen". "LGBT, so etwas gibt es nicht", sagte er und fügte hinzu: "Dieses Land ist patriotisch und moralisch".
Die Studentenproteste waren durch die Ernennung des ehemaligen AKP-Politikers Melih Bulu zum Rektor der Bogazici-Universität ausgelöst worden. In früheren Jahren waren die türkischen Universitätsrektoren hochschulintern gewählt worden, doch nach dem Putsch-Versuch von 2016 sicherte sich Erdogan auch den Zugriff auf die Hochschulen. An der Bogazici-Universität, an der die Veranstaltungen auf Englisch abgehalten werden, hat sich über die Jahre eine stark linksgerichtete Studentengemeinde versammelt.
by Von Bulent KILIC