Ein Leben im Schatten der Queen
Es kann nur eine Königin geben. So einfach ist das – und so unerbittlich. Für Prinzessin Margaret (1930-2002) ist es die große Ungerechtigkeit ihres Lebens. Die vier Jahre jüngere Schwester der englischen Königin Elizabeth II. (93) sieht sich selbst als die Bessere. Gewiss, sie liebt Lilibeth, wie Elizabeth innerhalb der Königsfamilie genannt wird, doch sie hält sich selbst für die begabtere Monarchin, weil sie nun mal intelligenter, charmanter, sensibler und einnehmender sei. So schildert die preisgekrönte TV-Serie “The Crown” (Netflix) das spannungsgeladene Verhältnis zwischen den beiden berühmten Frauen. Was ist Dichtung und was die Wahrheit?
In der zweiten Episode der dritten Staffel klärt Prinzgemahl Philip (Tobias Menzies) seine Frau, die Königin (Olivia Colman), über die mentalen Unterschiede zwischen den beiden Schwestern auf. Es gäbe nun mal seit Queen Victoria (1819-1901) in der Dynastie der Windsors die Langweiligen und die Brillanten, die Verlässlichen und die Paradiesvögel. Das sei auch bei ihr, Elizabeth, und bei Margaret so. Der brillanten Margaret, die mit ihrem Temperament alle und alles mitreißt, stehe die vorsichtige, aber auch ein bisschen langweilig wirkende Elizabeth gegenüber, pflichtbewusst wie es einer wahren Königin gebühre.
Diese TV-Szene entspricht inhaltlich durchaus der Realität. Beide Schwestern sind von einer verblüffend unterschiedlichen Wesensart. Weil aber Lilibeth die Ältere ist, sitzt sie auf dem Thron, hat sie das Sagen – und nicht Margaret. Ihre Filmversion mit Helena Bonham Carter zeigt eine lebenshungrige junge Frau, die raucht und trinkt, während die junge Elizabeth nur gelegentlich am Wasserglas nippt. Auch das entspricht der Wahrheit.
Die Fernsehzuschauer erleben eine entfesselte Prinzessin und Countess of Snowdon, die 1965 mit ihrem Mann, dem Fotografen Antony Armstrong-Jones, die USA besucht und das Weiße Haus samt US-Präsident Lyndon B. Johnson im Sturm erobert.
Die Wahrheit ist mindestens so stürmisch. Im Dezember 1965 berichtet der “Spiegel”: “Daheim ist Margaret nur Prinzessin. In Amerika wurde sie Königin. Zwanzig Tage lang reiste das Ehepaar Armstrong-Jones privatim durch die USA. Zwanzig Tage lang trennte Margaret die Creme der amerikanischen Gesellschaft in Eingeladene und Nichteingeladene. ‘Das Gesetz des Dschungels herrscht’, klagte eine Abgewiesene.” Laut “Spiegel” huldigte in Hollywood neuer und alter Filmadel dem blaublütigen Paar aus dem alten Erdteil.
Dann bat Präsident Lyndon B. Johnson ins Weiße Haus. “Sanft legte der 190 Zentimeter große Staatstexaner seine Hände zum Tanz um die kleine Britin. Vizepräsident Humphrey und Verteidigungsminister McNamara küssten ihr gänzlich unamerikanisch die Hand…” Als das Paar seine 70 Koffer gepackt hatte und zurück nach London flog, schwärmte die Wochenzeitschrift “New Statesman”: “Nach Beatles und Scotch Whisky ist die königliche Familie Britanniens ergötzlichster Export in die USA.”
Margaret genoss ihren Triumph, doch sie hatte auch eine ganz andere Seite, was ebenso bei “The Crown” anklingt. Die Prinzessin ist immer öfter eine gebrochene Frau, die sich im Schatten ihrer Schwester wähnt. Ihr Freund, der Autor John Julius Norwich, sagt später laut “Adelswelt”: “Ich habe noch nie eine unglücklichere Frau gesehen.” Der Grund ihres exzessiven Whisky- und Weinkonsums ist offenbar eine unglückliche Liebe.
Margaret wollte bereits in den 50er-Jahren den 16 Jahre älteren ehemaligen Oberst und Hofstallmeister Peter Townsend heiraten. Diese Ehe musste ihr Königin Elizabeth II. verbieten, weil es nach den damaligen Gesetzen Mitgliedern des britischen Königshauses untersagt war, einen geschiedenen Partner zu heiraten. 1955 verkündete eine todtraurige Margaret offiziell das Ende der Beziehung zu Townsend.
1957 lernt sie auf einer Party den bekannten Fotografen Antony Armstrong-Jones kennen. “Ich genoss seine Gesellschaft, nahm aber nicht viel Notiz von ihm, weil ich ihn für schwul hielt”, erzählt die Prinzessin später ihrem Biografen Christopher Warwick. Drei Jahre später heiratet sie den Mann, den daraufhin ihre Schwester, die Königin, in den Adelsstand zum Earl of Snowdon erhebt.
Die Serie schildert eine turbulente On-off-Beziehung, die sich auch in der Wirklichkeit so abgespielt haben soll. Margarets Mann ist ein berüchtigter Schwerenöter. Anne de Courcy, die eine Biografie über ihn verfasst hat, schreibt unter anderem: “Die Mädchen kamen weiter in sein Studio, auch seine Langzeitfreundin Jacqui Chan. Außerdem hatte er noch eine Affäre mit der schönen Schauspielerin Gina Ward.”
Auch Margaret lässt nichts anbrennen. Ihr werden Liebschaften mit Mick Jagger sowie den Kinostars David Niven und Peter Sellers nachgesagt. Die Serie zeigt in einer Episode eine Liaison mit dem attraktiven Gärtner Roddy Llewellyn auf ihrem Anwesen auf der Karibikinsel Mustique. Hier untertreibt der Film ein bisschen, der Gärtner ist in Wahrheit ein renommierter Landschaftsarchitekt. Das Urlaubsdomizil ist in der Tat ein Hochzeitsgeschenk, und zwar von Margarets Jugendfreund Colin Tennant, Lord Glenconner.
1978 wurde die Ehe mit Antony Armstrong-Jones geschieden, doch das war in Wahrheit auch keine Befreiung mehr für Margaret. Allmählich begann sich ihr Alkohol- und Zigarettenkonsum gesundheitlich auszuwirken. Zwar überstand sie eine dramatische Lungenkrebserkrankung, bei der ihr der linke Lungenflügel entfernt wurde und nach der sie unverdrossen weiterrauchte. Aber nach mehreren Schlaganfällen starb Prinzessin Margaret am 9. Februar 2002 in einem Londoner Krankenhaus.
Sie hinterlässt zwei Kinder (mit Armstrong-Jones): Ihr Sohn David Armstrong-Jones, 2. Earl of Snowdon (58) ist ein bekannter Möbeldesigner (unter dem Namen David Linley) und Chairman des Aktionshauses Christie’s in London. Die Tochter Sarah (55) hat 1994 den Schauspieler und Künstler Daniel Chatto St. George Sproule geheiratet. Beide Kinder haben ihrerseits Kinder, Prinzessin Margaret wäre jetzt vierfache Großmutter.
Die Tragik ihres Lebens, das so viele TV-Zuschauer berührt, ist keine filmische Übertreibung, sondern ein Schicksal mehr in der Geschichte der Windsors. Die “Times” schreibt, dass “die Zeit und das Leben Prinzessin Margaret nicht gut behandelt” haben. Hätte man ihr erlaubt, “die Liebe ihres Lebens zu heiraten, wäre sie eine glücklichere und vielleicht eine gesündere Frau gewesen”.
(ln/spot)