Auf ihrem ersten digitalen Bundesparteitag haben die Grünen ein neues Grundsatzprogramm beschlossen. Mit dem vierten Programm ihrer 40-jährigen Geschichte tritt die Partei für konsequenten Klimaschutz und ökologisches Wirtschaften, aber auch für mehr soziale Gerechtigkeit ein. Zehn Monate vor der Bundestagswahl bekräftigte die Parteiführung um Annalena Baerbock und Robert Habeck ihren Machtanspruch. Dafür wollen die Grünen künftig breitere Wählerschichten ansprechen.
Als Zugeständnis an Klimaaktivisten bekennen sich die Grünen klarer zur 1,5-Grad-Grenze beim Anstieg der Erderwärmung. Es sei notwendig, "auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen", steht nun in dem Grundsatzprogramm. Im Entwurf des Parteivorstands hatte es ursprünglich geheißen, gemäß dem Pariser Klimaabkommen solle die Erderhitzung "auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden".
Die Umweltaktivistin Luisa Neubauer von "Fridays for Future" begrüßte die Änderung. Die Grünen hätten auf den "Druck von breiten gesellschaftlichen Bündnissen" reagiert, twitterte sie.
Im Grundsatzprogramm bekräftigen die Grünen zudem die Forderung nach 100 Prozent erneuerbaren Energien, verbunden mit dem Ausstieg aus allen fossilen Ressourcen. Die Landwirtschaft soll ökologisch umgebaut werden, im öffentlichen Verkehr soll die Schiene gestärkt sowie mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger geschaffen werden.
Auch eine Kontroverse über die Gentechnik wurde beigelegt: Die Grünen sehen deren Einsatz in der Landwirtschaft skeptisch, erteilen ihr aber auch keine komplette Absage. Habeck sagte auf dem Parteitag, die alte Gentechnik habe ihre Versprechen nicht eingelöst, allerdings sollte die Forschung zu neuen Verfahren in diesem Bereich nicht ausgeschlossen werden.
Das Hartz-IV-System soll durch eine Garantiesicherung, die bei Bedürftigkeit ohne Vorbedingungen gewährt wird, überwunden werden. Langfristig wollen die Grünen die Sozialleistungen zusammenfassen und in das Steuersystem integrieren. Gegen den Willen der Parteiführung sprachen sich die Delegierten perspektivisch für ein bedingungsloses Grundeinkommen aus, das allen Mitgliedern der Gesellschaft individuell und ohne Bedürftigkeitsprüfung zusteht.
Denkbar knapp scheiterten die Befürworter bundesweiter Volksabstimmungen auf dem Parteitag. Der unter anderem von Bundesgeschäftsführer Michael Kellner vorgestellte Antrag erhielt 46,36 Prozent der Delegiertenstimmen. Der Vorschlag des Bundesvorstands, statt bundesweiten Volksentscheiden Bürgerräte zu etablieren, setzte sich knapp mit 51,48 Prozent durch.
Habeck hatte zuvor gemahnt: "Volksentscheide werden polarisieren." Sie würden nicht den gesellschaftlichen Dialog befördern, sondern die Spaltung der Gesellschaft. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin sagte mit Blick auf die Bedrängung von Bundestagsabgeordneten durch Gäste der AfD, es gehe mehr denn je darum, die parlamentarische Demokratie zu stärken.
Das ins Grundsatzprogramm aufgenommene Modell der Bürgerräte sieht vor, dass bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von Bürgern in die Gesetzgebung einfließt. Dafür sollen Bürger per Los ausgewählt werden.
Auch Anträge zur Absenkung des Wahlalters auf unter 16 Jahre setzten sich auf dem Parteitag nicht durch. Beschlossen wurde der Vorschlag des Bundesvorstands, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken.
Linken-Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte warf den Grünen vor, sie könnten es "kaum abwarten, mit der CDU und der CSU zu koalieren". Er forderte die Partei auf, sie solle dies "nun auch sagen, sonst ist es Wählertäuschung mit langer Ansage". Der CDU-Mittelstandspolitiker Thomas Bareiß sagte dem "Handelsblatt": "Im Kern bleiben die Grünen eine Verbotspartei."
by Stefan Sauer