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Deutschland zieht Großteil diplomatischen Personals aus Kabul ab

Maas kündigt beschleunigte Ausreise Deutscher und Ortskräfte aus Afghanistan an

Deutschland zieht angesichts des raschen Vormarsches der radikalislamischen Taliban in Afghanistan einen Großteil seines diplomatischen Personals aus dem Land ab. "Wir werden die Belegschaft der deutschen Botschaft in Kabul in den nächsten Tagen auf das operativ notwendige absolute Minimum reduzieren", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) nach einem Treffen des Krisenstabs im Auswärtigen Amt am Freitag. Die Taliban standen zu dem Zeitpunkt nur noch wenige dutzend Kilometer vor Kabul.

Maas sagte bei einem Besuch im baden-württembergischen Denzlingen, es werde "sofort" ein Krisenunterstützungsteam in die afghanische Hauptstadt geschickt, das dabei helfen solle, die "Sicherheitsvorkehrungen" zu erhöhen. Die "ohnehin für diesen Monat vorgesehenen Charterflüge" für das diplomatische Personal würden vorgezogen. Zudem sollten mit den Charterflügen auch afghanische Ortskräfte nach Deutschland gebracht werden.

Um die Ausreise zu beschleunigen, würde jenen Ortskräften, die noch kein deutsches Visum hätten, dieses künftig in Deutschland erteilt, sagte Maas weiter. Alle deutschen Staatsbürger, die sich noch in Afghanistan befinden, rief er eindringlich auf, "das Land jetzt zu verlassen".

Die Zahl der Deutschen in Afghanistan schätzt das Auswärtige Amt nach Angaben eines Sprechers derzeit auf eine hohe zweistellige Zahl - Bundeswehrangehörige und anderes "entsandtes Personal", etwa in der Botschaft, nicht eingerechnet.

Die deutsche Botschaft in Kabul soll laut Maas auch nach der Evakuierungsaktion "arbeitsfähig" bleiben. Dänemark und Norwegen kündigten indes am Freitag die vorübergehende Schließung ihrer diplomatischen Vertretungen in Kabul an. Finnlands Außenminister Pekka Haavisto erklärte, sein Land werde "angesichts der sich rasch verschlechternden Sicherheitssituation" bis zu 130 Afghanen und ihre Familien aufnehmen, die "im Dienste Finnlands, der EU oder der Nato gearbeitet" hätten. Die finnische Botschaft in Kabul bleibe vorläufig geöffnet.

Wie genau die deutsche Evakuierungsaktion ablaufen soll, war zunächst unklar. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums sagte in Berlin, es würden in der Bundeswehr Kräfte bereitgehalten, "die im Falle eines Falles zur Verfügung stehen, auch kurzfristig".

Einem Bericht des Magazins "Wir" zufolge bot US-Außenminister Antony Blinken Deutschland an, dass die deutschen Diplomaten mit US-Flugzeugen aus Kabul ausfliegen könnten. Die Deutschen könnten demnach am US-Stützpunkt in Ramstein aussteigen. Die USA hatten am Donnerstag die Entsendung von rund 3000 Soldaten nach Kabul angekündigt, die bei der Ausreise von US-Botschaftsmitarbeitern helfen sollen. Auch Großbritannien wollte 600 weitere Soldaten nach Afghanistan senden, um die Evakuierung von diplomatischem Personal und Ortskräften abzusichern

Seit Beginn des vollständigen Abzugs der Nato-Truppen aus Afghanistan haben die Taliban weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. In den vergangenen acht Tagen nahmen die Islamisten rund die Hälfte der 34 afghanischen Provinzhauptstädte ein, darunter zuletzt auch die zweitgrößte Stadt Kandahar. Am Freitag standen sie nach Eroberung der Provinzhauptstadt Pul-i-Alam nur noch 50 Kilometer vor Kabul, wie ein Regionalabgeordneter der Provinz Logar mitteilte.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte, die Nato verfolge weiterhin das Ziel, "die afghanische Regierung und die afghanischen Streitkräfte so weit wie möglich zu unterstützen". Die Sicherheit des Nato-Personals stehe dabei an "vorderster Stelle". Er fügte aber hinzu: "Die Nato wird ihre diplomatische Präsenz in Kabul aufrecht erhalten und sie weiterhin anpassen, wo es notwendig ist."

Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace bezeichnete unterdessen das Abkommen von Doha, das die USA unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump mit den Taliban geschlossen hatten, als "Fehler". Die internationale Gemeinschaft werde dafür "wahrscheinlich die Konsequenzen" zu tragen haben, sagte Wallace dem Sender Sky News.

Die Entscheidung zum Abzug der US-Truppen habe "ein großes Problem" hervorgerufen. Das Terrornetzwerk Al-Kaida werde "wahrscheinlich" zurückkommen und "für uns und unsere Interessen eine Bedrohung" sein. Gescheiterte Staaten seien "Brutstätten" für "diese Art von Menschen", sagte Wallace.

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