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Deutschland holt wegen Taliban-Vormarsches Botschaftspersonal aus Kabul zurück

Pentagon: USA können tausende Menschen pro Tag ausfliegen

Angesichts des raschen Vorrückens der radikalislamischen Taliban wächst international die Angst vor einem baldigen Fall der Hauptstadt Kabul in die Hände der Islamisten. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) kündigte am Freitag den Abzug eines großen Teils der deutschen Botschaftsmitarbeiter in Kabul an, andere Staaten schließen ihre diplomatischen Vertretungen in Kabul vorläufig komplett. Die USA bereiten die Ausreise tausender Menschen täglich aus Kabul vor.

"Wir werden die Belegschaft der deutschen Botschaft in Kabul in den nächsten Tagen auf das operativ notwendige absolute Minimum reduzieren", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bei einem Besuch im baden-württembergischen Denzlingen. Zuvor hatte im Auswärtigen Amt der Krisenstab zur Lage in Afghanistan getagt.

Maas kündigte die "sofortige" Entsendung eines Krisenunterstützungsteams in die afghanische Hauptstadt ein. Die "ohnehin für diesen Monat vorgesehenen Charterflüge" für das diplomatische Personal würden vorgezogen. Zudem sollten mit den Charterflügen auch afghanische Ortskräfte nach Deutschland gebracht werden.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte in der "Süddeutschen Zeitung" eine erleichterte Einreise für die afghanischen Ortskräfte zu. "Am Bundesinnenministerium scheitert keine Einreise von Ortskräften." So könne etwa die "Klärung der Identität und die Erteilung von Visa" in Deutschland stattfinden, wenn dies in Afghanistan nicht möglich sei.

Wie genau die deutsche Evakuierungsaktion ablaufen soll, war zunächst unklar. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums sagte in Berlin, es würden in der Bundeswehr Kräfte bereitgehalten, "die im Falle eines Falles zur Verfügung stehen, auch kurzfristig".

Einem Bericht des "Wir" zufolge bot US-Außenminister Antony Blinken Deutschland an, dass die deutschen Diplomaten mit US-Flugzeugen aus Kabul ausfliegen könnten. Die Deutschen könnten demnach am US-Stützpunkt in Ramstein aussteigen. Die USA hatten am Donnerstag die Entsendung von rund 3000 Soldaten nach Kabul angekündigt, die bei der Ausreise von US-Botschaftsmitarbeitern helfen sollen.

Pentagon-Sprecher John Kirby sagte am Freitag, die ersten US-Soldaten seien bereits in Kabul gelandet, fast alle weiteren würden bis spätestens Sonntag folgen. Die Streitkräfte seien in der Lage, "tausende Menschen am Tag" aus Afghanistan auszufliegen.

Kabul sei derzeit nicht in "unmittelbarer Gefahr", sagte Kirby. Washington beobachte jedoch "mit großer Sorge", die Geschwindigkeit, in der die Taliban ihre Kontrolle in Afghanistan ausbauten sowie den "fehlenden Widerstand, mit dem sie konfrontiert sind".

Während die deutsche Botschaft in Kabul laut Maas "arbeitsfähig" bleiben soll, verkündeten Dänemark und Norwegen die vorläufige Schließung ihrer diplomatischen Vertretungen in Kabul. Den Abzug von Botschaftspersonal bestätigten am Freitag außerdem die Niederlande, Spanien und Großbritannien.

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson warnte den Westen angesichts des Taliban-Vormarsches davor, Afghanistan "den Rücken zu kehren". Afghanistan dürfe nicht erneut "zur Brutstätte für Terror" werden. Zuvor hatte der britische Verteidigungsminister Ben Wallace die Rückkehr des Terrornetzwerks Al-Kaida als "wahrscheinlich" bezeichnet.

Seit Beginn des vollständigen Abzugs der Nato-Truppen aus Afghanistan haben die Taliban weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. In den vergangenen acht Tagen nahmen die Islamisten rund die Hälfte der 34 afghanischen Provinzhauptstädte ein, darunter zuletzt auch die zweitgrößte Stadt Kandahar. Am Freitag standen sie nach Eroberung der Provinzhauptstadt Pul-i-Alam nur noch 50 Kilometer vor Kabul, wie ein Regionalabgeordneter der Provinz Logar mitteilte.

Laut UN-Generalsekretär António Guterres begehen die Taliban in den von ihnen kontrollierten Gebieten "entsetzliche" Menschenrechtsverbrechen. Es sei "herzzerreißend, Berichte zu sehen, wonach afghanischen Frauen und Mädchen ihre hart erkämpften Rechte entrissen werden", sagte Guterres am Freitag vor Journalisten.

Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußerte sich "zutiefst besorgt" angesichts der Gewalt durch die Taliban-Offensive. "Die Taliban müssen erkennen, dass sie nicht von der internationalen Gemeinschaft anerkannt werden, wenn sie das Land mit Gewalt übernehmen", sagte er. Die Nato werde weiterhin eine "politische Lösung" im Afghanistan-Konflikt unterstützen.

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