Zuletzt hatte sich gezeigt, dass die Delta-Variante des Coronavirus auch Personen anstecken kann, die bereits eine Impfung erhalten haben. Lediglich bei Personen, die bereits beide Impfungen erhalten haben, scheint ein sicherer Schutz zu bestehen. Sollten deshalb die 2. Impfung gegen das Virus vorgezogen werden?
Zur Zeit rät die Ständige Impfkommission (Stiko) in Deutschland bei den Impfungen mit AstraZeneca zu einem Abstand von zwölf Wochen zwischen den beiden notwendigen Impfsdosen. Bei den mRNA-Impfstoffen von Moderna und Biontech empfehlen die Experten zur Zeit einen Zeitraum von 6 Wochen zwischen den Impfungen. “Gerade mit Blick auf die Delta-Variante ist es wichtig, die zweite Impfung wahrzunehmen“, riet der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn am Freitag in Berlin auf einer Pressekonferenz. Auch RKI-Chef Lothar Wieler betonte, dass Personen mit vollem Impfschutz auch “vor schweren Erkrankungen durch Delta geschützt“ seien. Menschen, die lediglich eine Impfung erhalten hätten, könnten sich laut Wieler sowohl mit dem Virus infizieren und das Virus dann auch an andere Menschen weiterübertragen. Die Erstimpfung alleine biete laut Wieler keinen sicheren Schutz. Ein Standpunkt den auch der Ulmer Immunologe Carsten Watzl teilt: “Die Zweitimpfung ist dringend notwendig, um auch die Mutanten gut abwehren zu können.“
Könnte es aus diesem Grund ratsam sein die zweite Impfung gegen das Virus vorzuziehen? Wenn es nach dem Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Gassen geht, ist dies eine gute Idee: “Die aktuellen Impfintervalle, insbesondere bei Biontech, zu verkürzen, macht natürlich Sinn, um möglichst schnell eine vollständige Impfwirkung zu erreichen“, glaubt Gassen und begründet seine Meinung wie folgt: “Die maximale Spreizung der Impfintervalle bei Biontech hat ja lediglich im Mangel der Impfstoffe ihre Begründung.“ Allerdings liegen die Dinge beim Impfstoff von AstraZeneca anders. Dort gibt es gute Argumente für ein größeres Impfintervall. Je größer die Wartezeit zwischen den beiden Impfungen, umso höher ist dort die Wirksamkeit der Impfung. Je kürzer der Abstand zwischen den beiden Impfungen bei AstraZeneca ist, umso geringer die Wirkung. Aus diesem Grund ist Mediziner und Internist Thomas Aßmann in diesem Fall auch strikt dagegen, die Zweitimpfung vorziehen.”Gerade weil die Delta-Variante ansteckender und gefährlicher ist, ist es nötig, die Menschen so gut wie möglich zu schützen. Und der beste Schutz durch eine AstraZeneca-Impfung besteht nach allem, was wir wissen und verschiedene Studien zeigen, eben bei einem größeren Impfabstand von ungefähr 12 Wochen.“ Zudem spricht sich auch der Chef der Hausärzte Ulrich Weigelt gegen vorgezogene Zweitimpfungen aus: “Die Delta-Variante wird nicht die letzte Mutation sein, mit der wir in der Pandemie konfrontiert sein werden. Es liegt in der Natur des Virus, sich ständig zu verändern.“ Nach Weigelts Meinung würden sich dann immer die ansteckenderen Varianten durchsetzen ohne gefährlicher für die Infizierten zu sein.
“Angesichts der aktuellen Inzidenzen sehe ich aber keinen Grund, hier besonders alarmiert zu sein. Das Auftreten der Delta-Variante des Coronavirus ist kein Grund für eine Verkürzung der Impfabstände“, erklärt Weigelt. Eine Meinung, die auch mit der von Prof. Christian Hesse übereinstimmt. Auch der Statistiker von der Universität Stuttgart spricht sich gegen vorgezogene Zweitimpfungen aus. “Dieses Vorziehen der Zweitimpfungen würde dann zulasten der Erstimpfungen gehen müssen. Die sind aber sogar noch wichtiger, da auch schon nach der Erstimpfung ein gewisser Impfschutz besteht“, argumentiert Hesse. Denn nach aktuellen Ergebnissen trifft die Delta-Variante besonders junge und ungeimpfte Menschen. Die meisten Fälle in diesers Altersklasse verlief allerings mit leichten Symptomen.
“Und dann zweitens auch die Impfgegner, die etwa 25 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Diese Menschen sollten berücksichtigen, dass sie sich unweigerlich früher oder später anstecken werden“, ist sich Hesse sich. Also wird es auch in der Gruppe der Impfgegner nach einer Zeit zu einem hohen Anteil an Immunisierungen kommen. “Aber eben nicht durch Impfung, sondern durch Erkrankung“, wie Hesse klarstellt.