Ihr neues Leben als EU-Chefin
Sie hat es geschafft: Ursula von der Leyen (60) wird die neue EU-Chefin. Die First Lady von Europa. Heute Abend, am 15. August, wird die erste weibliche Verteidigungsministerin vom Wachbataillon und Stabsmusikkorps der Bundeswehr feierlich verabschiedet – mit dem Großen Zapfenstreich, dem höchsten militärischen Zeremoniell der Bundeswehr, das nur Bundespräsidenten, Bundeskanzlern und Verteidigungsministern zusteht (Das Erste überträgt live ab 21:45 Uhr).
Am 1. November tritt sie ihren neuen Posten als erste weibliche EU-Kommissionspräsidentin in Brüssel an. Für die weltgewandte CDU-Politikerin (Auslandsaufenthalte in London und Kalifornien) ist es eine Heimkehr. Sie wurde 1958 im Brüsseler Stadtteil Ixelles geboren und verbrachte bis 1971 über 13 Jahre ihrer Kindheit in der Hauptstadt von Belgien.
Ihr Vater Ernst Albrecht (1930-2014) war als Generaldirektor für Wettbewerb in der EG einer der ranghöchsten Beamten der EU, bevor er 1976 für die CDU Ministerpräsident von Niedersachsen wurde (bis 1990).
In Brüssel spricht die Bevölkerung überwiegend Französisch, Ursula von der Leyen empfindet es als zweite Muttersprache. Sie ging in Brüssel zur Schule und hat bis heute private Kontakte in Belgien. Doch auch im Englischen ist sie perfekt, nicht zuletzt durch ihren vierjährigen USA-Aufenthalt. Ihr Ehemann, der Medizin-Professor und medizinische Unternehmer Heiko von der Leyen (64), Nachkomme einer adligen Seidenweber-Familie aus Krefeld, war an der Stanford-Universität (US-Bundesstaat Kalifornien) beschäftigt.
In Brüssel (etwas über eine Million Einwohner) arbeiten über 25.000 EU-Bedienstete, auf mehr als 10.000 wird die Zahl der in Brüssel niedergelassenen Europa-Lobbyisten und sonstigen EU-Interessenvertreter geschätzt. Mit 2.500 ausländischen Diplomaten und annähernd 1.000 Journalisten nimmt die belgische Hauptstadt in Europa ebenfalls eine Spitzenstellung ein, was auch das Preisniveau betrifft.
Jedenfalls ist es spürbar höher als in der deutschen Hauptstadt Berlin, wo von der Leyen die letzten Jahrzehnte gearbeitet hat. Doch die belgischen Preise dürften für sie kaum ein Problem sein, denn sie verdient ab November in Brüssel mehr als in Berlin. Ihr Monatsgehalt als EU-Kommissionspräsidentin beträgt exakt 27.903 Euro brutto, gut 5.000 Euro mehr wie als deutsche Verteidigungsministerin.
Zwar kann Brüssel nicht ganz mit der großartigen Theater- und Musikszene von Berlin konkurrieren, doch die Zeit für Konzert- und Opernbesuche dürfte für Ursula von der Leyen – der Dirigent George Alexander Albrecht ist übrigens ihr Onkel – eher knapp bemessen sein. Außerdem hat sie ihre Abende und Nächte nur in Notfällen in Berlin verbracht. Wenn es irgendwie ging, fuhr sie abends noch mit dem ICE zurück zu ihrem Landsitz in Burgdorf-Beinhorn (Region Hannover), wo die von der Leyens seit dem Tod von Ernst Albrecht leben.
Das ist allerdings von Brüssel nicht mehr möglich. Als Verteidigungsministerin konnte sie noch die Flugbereitschaft der Bundesregierung nutzen. Als EU-Kommissionspräsidentin steht ihr so eine Möglichkeit nicht mehr zur Verfügung. Nur in (dienstlichen) Ausnahmefällen könnte sie ein “Flugtaxi” ordern. Ansonsten benutzen EU-Politiker Linienflüge.
Schon ihr Amtsvorgänger Jean-Claude Juncker (64) hatte bedauert, dass er als EU-Chef kein persönliches Flugzeug hat. “Als ich in einem Meeting mit Donald Trump war, schaute ich immer wieder auf die Uhrzeit, damit ich meinen Flug nach Hause nicht verpassen würde”, sagte er in einem Interview mit der “Bild”-Zeitung. “Trump wiederholte immer wieder zu mir: ‘Dein Flugzeug kann gut warten’. Es kam ihm nicht einmal in den Sinn, dass ich keins hatte.”
Die Flugzeit von Brüssel nach Hannover beträgt eine Stunde und zehn Minuten. Drei Airlines bieten Direktflüge an, ab 105 Euro. Die Bahn braucht wesentlich länger und verkehrt nicht direkt zwischen Hannover und Brüssel, man muss mindestens einmal umsteigen. Die schnellste Verbindung: vier Stunden und 54 Minuten. Mit dem gepanzerten Dienstwagen der Extraklasse dauert es noch länger: Mit fünfeinhalb Stunden sollte man für die 476 Kilometer schon rechnen.
Auch mit einer Dienstwohnung darf die neue EU-Chefin nicht rechnen. Jean-Claude Juncker hat die letzten fünf Jahre seiner Amtszeit in einem Hotel gelebt, in einem 50 Quadratmeter großen Apartment für 3.250 Euro im Monat. Das Problem: Er konnte niemanden zu sich einladen. “Ich kann ja keine offiziellen Gäste mit auf mein Hotelzimmer nehmen.”
Für den Familienmenschen Ursula von der Leyen dürfte ein Hotel als Bleibe ausscheiden. Die Mutter von sieben mittlerweile volljährigen Kindern braucht mehr Platz als ein Hotelzimmer, wenn sich Familienbesuch in Brüssel angesagt hat. Als Standort für eine Wohnung würde sich das Europa-Viertel anbieten, das Verwaltungsherz Europas. Hier wohnen die meisten EU-Beamten und Politiker. Sehr beliebt ist auch von der Leyens gepflegtes Heimat-Viertel Ixelles. Die schöne Jugendstil-Architektur durch See- und Teichpromenaden – das ideale Viertel für Menschen wie die neue EU-Chefin, die eine Nähe zur Natur sehr schätzt, ohne zu weit von der Europäischen Institutionen entfernt zu sein.
Brüssel ist eine Stadt für Genießer, es gibt zahlreiche Brasserien, sehr gutes Bier und entsprechende Bierlokale, erstklassige Cafés und Feinschmeckerlokale, in denen die Crème de la Crème der EU gern tafelt und Hinterzimmerpolitik betreibt. Als bestes Restaurant der Stadt wird oft das “Comme chez Soi” (2 Michelin-Sterne, Place Rouppe 23) genannt. Ebenfalls zwei Sterne hat das Fischrestaurant “Sea Grill” (Rue du Fossé aux Loups 47). Das “Bon Bon” (Avenue de Tervueren 453) hat der Restaurantführer Michelin ebenfalls mit zwei Sternen ausgezeichnet.
Ursula von der Leyen isst allerdings kaum Fleisch und trinkt überhaupt keinen Alkohol, “nicht aus Ablehnung, sondern weil sie nach sieben Schwangerschaften und siebenmal Stillen irgendwie drüber hinweg war”, berichtete “Bild”. Ihre Brüsseler Mitarbeiter müssten also nicht befürchten, dass ihnen die neue Chefin den Wein verbietet.
Sie selbst bevorzugt eine einfache, schnelle Küche, vor allem wenn sie selbst mal kocht, was in Brüssel wohl kaum der Fall sein dürfte. Auf jeden Fall sei ihr das “Tonton” (Rue Duquesnoy 6) empfohlen, feinste Käseauswahl, grandiose Sandwiches.
Und aus ihrer Kindheit kennt sie noch die berühmteste Brüsseler Spezialität: Pommes frites. Gibt’s an jeder Ecke, in einer Qualität, wie man sie aus Berlin nicht kennt. Portion ab 3,50 Euro. Da kann man schon mal die ganze Familie einladen.
(ln/spot)