Chinas Botschafter in Frankreich hat mit dem Infragestellen der Souveränität ehemaliger Sowjetrepubliken wie der Ukraine in Europa Verärgerung ausgelöst. Botschafter Lu Shaye hatte am Freitag dem Nachrichtensender LCI gesagt, die nach dem Kalten Krieg aus der Sowjetunion hervorgegangenen Länder hätten "keinen wirksamen Status nach internationalem Recht, weil es kein internationales Abkommen gibt, das ihren Status als souveräne Nationen bestätigt".
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisierte Lus Einlassungen als "inakzeptabel". "Die EU kann nur annehmen, dass diese Äußerungen nicht Chinas offizielle Politik darstellen", schrieb er am Sonntag im Onlinedienst Twitter.
Auch der ukrainische Präsidentenberater Michailo Podoljak widersprach Lu öffentlich. Der Status von Ex-Sowjetrepubliken wie der Ukraine oder auch heutigen EU-Ländern wie den baltischen Staaten sei sehr wohl "im internationalen Recht verankert", sagte er dem Sender LCI. Podoljak wies außerdem Lus Interview-Äußerungen über die 2014 von Russland besetzte und annektierte ukrainische Halbinsel Krim zurück.
Auf die Frage, ob die Krim ukrainisch sei, hatte Lu auf LCI geantwortet, dies hänge davon ab, "wie man das Problem betrachtet. Es gibt eine Geschichte. Die Krim war zu Beginn russisch." Podoljak urteilte, es sei "seltsam, eine absurde Version der 'Geschichte der Krim' vom Repräsentanten eines Landes zu hören, das keine Skrupel hinsichtlich seiner tausendjährigen Geschichte hat".
Kritik an dem chinesischen Botschafter kam auch aus den Baltenstaaten. Der lettische Außenminister Edgars Rinkevics schrieb auf Twitter, Lus Sicht sei "vollkommen inakzeptabel". Estlands Chef-Diplomat Margus Tsahkna nannte die Äußerungen des Botschafters "falsch und eine Fehlinterpretation der Geschichte".
Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis twitterte: "Wenn irgendjemand sich noch fragt, warum die baltischen Staaten China nicht zutrauen, 'Frieden in der Ukraine zu vermitteln', ist hier ein chinesischer Botschafter, der argumentiert, dass die Krim russisch ist und dass die Grenzen unserer Länder keine Rechtsgrundlage haben."
Lus umstrittene Äußerungen erfolgten nur knapp zwei Wochen nach einem Besuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in der Volksrepublik. Macron hatte dabei bei Chinas Staatschef Xi Jinping dafür geworben, Druck auf Kreml-Chef Wladimir Putin auszuüben, damit dieser den russischen Angriffskrieg in der Ukraine beendet. Einige westliche Partner hatten Macrons Bemühungen angesichts der zunehmend engen Beziehungen zwischen Peking und Moskau mit Skepsis betrachtet.
Das französische Außenministerium erklärte am Samstag, es habe "mit Bestürzung die Äußerungen des chinesischen Botschafters in Frankreich vernommen über die Grenzen von Ländern, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion unabhängig geworden sind". China müsse nun klarstellen, "ob diese Äußerungen seine Position widerspiegeln, was hoffentlich nicht der Fall ist".
Lu ist einer von Chinas sogenannten Wolfskrieger-Diplomaten, die Meinungsverschiedenheiten mit anderen Staaten sehr offen ansprechen. Er hat bereits wiederholt für Irritationen in seinen jeweiligen Gastländern gesorgt.
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