Gazprom steht am Abgrund. Die einstmals lukrativen Kunden in Europa sind weg, und Wladimir Putin setzt nun auf eine neue Pipeline nach China. Doch die Verhandlungen gestalten sich schwierig, denn Peking stellt Bedingungen, die Moskau kaum erfüllen kann, aber vielleicht erfüllen muss.
Kein Unternehmen in Russland zahlt wohl einen höheren Preis für den Angriff auf die Ukraine als Gazprom. Das einstige Flaggschiff, das Milliarden in die Kreml-Kassen spülte, schloss das Jahr 2023 mit einem Rekordverlust von fast 6,4 Milliarden Euro ab – das erste Mal seit 1999.
Laut einem Bericht der "Financial Times" vom Juni wird es mindestens zehn Jahre dauern, bis Gazprom sich von den Folgen der Invasion und den westlichen Sanktionen erholt. Diese düstere Prognose war keine Überraschung, da das Unternehmen bereits im ersten Halbjahr 2023 die niedrigste Gasförderung seit 1978 verzeichnete. Der russische Journalist und Energieexperte Michail Krutichin kommentierte treffend: Gazprom hat im Auftrag Putins wirtschaftlichen Selbstmord begangen.
Putin plant nun, das Gas, das einst nach Europa floss, nach China zu verkaufen. Er wirbt eifrig für die neue Pipeline "Power of Siberia 2", die 2600 Kilometer lang ist und 100 Milliarden Euro kosten soll. Diese Pipeline könnte jährlich 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas von der Jamal-Halbinsel durch Sibirien über die Mongolei nach China transportieren. Energieanalyst Andreas Schröder erklärt im ntv-Podcast "Wieder was gelernt", dass Chinas Gasverbrauch stark steigen wird und russisches Pipelinegas kostengünstiger ist als importiertes Flüssiggas. Deshalb hat China ein starkes Interesse an russischen Gaslieferungen. Doch trotz der Verhandlungen und gegenseitigen Besuche von Putin und Xi Jinping ist die Einigung über den Bau der Pipeline noch nicht erreicht.
Berichten zufolge hat China jedoch "unzumutbare Forderungen" gestellt: Peking will nur einen kleinen Teil der jährlichen 50 Milliarden Kubikmeter Gas garantiert abnehmen und dafür nur den Preis bezahlen, den Gazprom in Russland verlangt, wo das Gas stark subventioniert wird. Energieexperte Krutichin meint, dass China im Grunde will, dass der russische Steuerzahler für ihr importiertes Gas zahlt. Diese Bedingungen kann Gazprom kaum akzeptieren, da China bereits jetzt weniger für russisches Erdgas zahlt als frühere europäische Kunden.
In Moskau sorgten diese Nachrichten für Aufsehen, und der Kreml sah sich gezwungen zu reagieren. Putin-Sprecher Dmitrij Peskow verteidigte die chinesische Verhandlungstaktik und betonte, dass es normal sei, eigene Interessen zu verteidigen. Doch Putin und Peskow wissen wahrscheinlich, dass sie keine andere Wahl haben, wenn sie Gazprom retten wollen. Falls der Bericht der "Financial Times" korrekt ist, könnte Gazprom in den nächsten zehn Jahren nur ein Drittel der Gasmenge verkaufen, die es vor dem Krieg verkaufen konnte. Neue Abnehmer sind dringend nötig, und vielleicht bleibt nur, sich von China erpressen zu lassen.