Nach zwei Jahrzehnten Afghanistan-Einsatz hat die Bundeswehr ihren Rückzug vom Hindukusch eingeleitet. “Unser Auftrag in Afghanistan ist beendet. Ab heute beginnt der Abzug”, erklärte am Freitag das Bundesverteidigungsministerium. Ressortchefin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sagte: “Unsere ganze Konzentration liegt darauf, unsere Männer und Frauen zügig, abgestimmt und sicher aus Afghanistan zurückzubekommen.”
Der offizielle Termin für das Ende der Afghanistan-Mission der Bundeswehr war Freitag um Mitternacht. “Das ist ein besonderes Datum für uns. Wir gehen damit in die Rückverlegung über”, sagte Kramp-Karrenbauer. Die Bundeswehr stellte im Rahmen der nun endenden Nato-Mission “Resolute Support” das zweitstärkste Kontingent nach den USA. Noch etwa 1100 deutsche Soldaten sind in Afghanistan stationiert. Sie sollen – wie alle Nato-Truppen – spätestens bis September heimkehren.
Den Schlüssel für den von der Bundeswehr genutzten Teil des Camps Pamir im nordafghanischen Kundus übergaben die deutschen Einsatzkräfte bereits an ihre afghanischen Partner. “Wir verlassen Kundus mit Stolz und haben unseren Auftrag beim 217. Korps der afghanischen Armee erfüllt”, erklärte die Bundeswehr. Rund hundert deutsche Soldatinnen und Soldaten hatten im Camp Pamir afghanische Sicherheitskräfte trainiert und beraten.
Der monatelange Abzug der Nato-Truppen aus Afghanistan wird durch vorübergehende Verstärkungsmaßnahmen abgesichert. So entsendet die Bundeswehr zum Schutz der abziehenden Soldaten gepanzerte Fahrzeuge. Parallel dazu holt sie laut Verteidigungsministerium die für die Nato-Mission “Resolute Support” eingesetzten 123 Fahrzeuge und Hubschrauber nach Deutschland zurück. Darunter sind MH90-Transporthubschrauber, Fuchs-Panzer und Einsatzfahrzeuge vom Typ Dingo und Eagle, Kran- und Tankwagen, Lkw und Feuerwehrlöschfahrzeuge.
Die Nato als Ganzes hatte bereits am Donnerstag bekanntgegeben, mit dem Rückzug ihrer Mission aus dem Land begonnen zu haben. Bislang sind in Afghanistan insgesamt noch etwa 9600 Nato-Soldaten stationiert. Ursprünglich war der Nato-Abzug bis zum 1. Mai anvisiert gewesen. Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte den radikalislamischen Taliban dieses Datum in Aussicht gestellt. Der Termin wurde dann wegen fehlender Fortschritte in den Friedensgesprächen zwischen den Taliban und der Regierung in Kabul nicht eingehalten.
Trumps Nachfolger Joe Biden beschloss, den Abzug spätestens am 11. September abzuschließen – dem 20. Jahrestag der Terroranschläge in den USA, die den Einmarsch der US-Armee in Afghanistan zur Folge gehabt hatten. Nach der Verkündung des US-Truppenabzugs aus Afghanistan beschloss dann die gesamte Nato das Ende der Mission bis spätestens September. Auch der 4. Juli – der US-Unabhängigkeitstag – wurde inzwischen als Abschlussdatum erwogen.
Den Truppenabzug wird von Sorgen begleitet, dass sich ohne Präsenz internationaler Truppen die Konflikte in Afghanistan weiter verschärfen und die Gewalt dramatisch zunehmen könnte. Eine Friedensvereinbarung zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban ist bislang nicht in Sicht. Laut einem am Freitag veröffentlichten US-Regierungsbericht nahm die Zahl der Anschläge auf die afghanischen Sicherheitskräfte im ersten Qurtal um 37 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu. Diese Anschläge wurden überwiegend von den Taliban verübt.
Zudem fürchten Afghanen, die für die Nato-Truppen gearbeitet haben, um Leib und Leben. Dutzende Übersetzer für die US-Verbände lancierten am Freitag bei einem Treffen in Kabul einen Appell an Washington, sie nicht im Stich zu lassen. Die Übersetzer wollten in die USA geholt werden, dies sei ihnen versprochen worden, sagte Mohammad Schoaib Walisada, einer der Teilnehmer des Treffens.
by Von Daniel JAHN