Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am Mittwoch über die Wiederaufnahme von Strafverfahren nach einem Freispruch verhandelt. Hintergrund ist eine Ende 2021 in Kraft getretene Gesetzesänderung, wonach bei besonders schweren Straftaten auch nach einem rechtskräftigen Freispruch die Wiederaufnahme zulässig sein kann, wenn neue Beweismittel eine Verurteilung sehr wahrscheinlich machen. Die Verhandlung dauerte am Nachmittag noch an. (Az: 2 BvR 900/22)
Konkret geht es um den 42 Jahre alten Mordfall Frederike von Möhlmann. Die 17-Jährige wurde im Jahr 1981 in der Nähe von Celle vergewaltigt und getötet. Der Tatverdächtige Ismet H. war schon damals verdächtig. Er wurde aber 1983 freigesprochen, weil seine Schuld nicht bewiesen werden konnte.
2012 ergab dann ein molekulargenetisches Gutachten, dass eine DNA-Spur an der Kleidung der Getöteten von H. stammen könnte. Frederikes Vater Hans von Möhlmann kämpfte viele Jahre um eine Wiederaufnahme des Verfahrens.
Ende 2021 trat nach vielen politischen Diskussionen tatsächlich eine Gesetzesänderung in Kraft. Demnach kann ein Verfahren gegen einen rechtskräftig Freigesprochenen wieder aufgenommen werden, wenn neue Beweismittel es sehr wahrscheinlich machen, dass er wegen Mordes, Völkermordes, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt werden würde.
Gestützt auf diese Neuregelung beantragte die Staatsanwaltschaft Anfang 2022, das Verfahren gegen H. wiederaufzunehmen. Das Landgericht Verden ordnete dies und die Untersuchungshaft für H. an, das Oberlandesgericht Celle wies eine Beschwerde dagegen zurück.
H. erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde, um die Wiederaufnahme seines Verfahrens überprüfen zu lassen. Gleichzeitig beantragte er im Eilverfahren, den Haftbefehl vorläufig außer Kraft zu setzen. Damit hatte er im Juli 2022 teilweise Erfolg. Das Gericht ordnete an, dass er unter Auflagen vorläufig aus der Untersuchungshaft freikommen solle, und verlängerte diese Anordnung im Dezember für bis zu sechs Monate, bis über die Verfassungsbeschwerde entschieden sei.
Die Neuregelung im Strafgesetzbuch ist umstritten, weil das Grundgesetz es verbietet, jemanden wegen derselben Tat mehrmals zu bestrafen. Das Gericht muss klären, ob sie verfassungsgemäß ist.
So diskutierten die Karlsruher Richter in der mündlichen Verhandlung, ob das Verbot der Doppelbestrafung mit anderen Rechtsgütern abgewogen werden kann, etwa den Zielen einer umfassenden und gerechten Strafverfolgung sowie der Genugtuung für die Angehörigen. Umstritten war auch die Rückwirkung der Neuregelung, weil diese auch Straftaten vor der Gesetzesänderung erfasst.
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