Das Bundesverfassungsgericht hat am Dienstag mit der Verhandlung über eine Wahlrechtsreform begonnen - die allerdings schon nicht mehr aktuell ist. In Karlsruhe geht es um eine mit den Stimmen der großen Koalition aus Union und SPD im Jahr 2020 beschlossene Neuregelung, derzufolge bis zu drei Überhangmandate nicht mehr ausgeglichen werden sollten. Die damaligen Oppositionsfraktionen von FDP, Linkspartei und Grünen hielten die Reform für verfassungswidrig und wandten sich an das Gericht. (Az. 2 BvF 1/21)
Wie Gerichtsvizepräsidentin Doris König in ihrer Einführung zur Verhandlung sagte, war dem Änderungsgesetz "eine lange Diskussion über eine Reform des Wahlrechts vorangegangen". Seit Jahren wird darüber gestritten, wie der Bundestag verkleinert werden kann. Der Kompromiss von Union und SPD sah auch vor, dass weitere Überhangmandate in begrenztem Umfang mit Listenmandaten derselben Partei in anderen Bundesländern verrechnet werden sollten.
Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktkandidaten in den Bundestag bringt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen würden. Die anderen Parteien bekommen dafür Ausgleichsmandate. Die damalige Reform nutzte potenziell vor allem den Unionsparteien und der SPD.
Die 216 Abgeordneten von FDP, Linkspartei und Grünen sahen einen Verstoß gegen die Chancengleichheit der Parteien und die Wahlrechtsgleichheit. Da das Gericht ihren Eilantrag kurz vor der Bundestagswahl 2021 ablehnte, galt für diese das damals neue Wahlrecht.
Inzwischen beschloss der neue Bundestag mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP aber eine weitere Wahlrechtsreform, die ganz anders aussieht. Die 216 Abgeordneten hielten eine Verhandlung über die Reform von 2020 danach für überflüssig und beantragten, das Verfahren in Karlsruhe ruhen zu lassen. Das sei aber nicht möglich, erklärte das Gericht.
An einer Verhandlung bestehe ein öffentliches Interesse. "Denn zum einen sind die jetzigen 736 Abgeordneten des Deutschen Bundestags auf der Grundlage des verfahrensgegenständlichen Wahlrechts gewählt worden", führte König aus. "Zum anderen wird eine mögliche Wiederholungswahl zum Bundestag in Berlin auf der Grundlage dieses Wahlrechts stattfinden müssen."
Entscheiden will das Gericht am Dienstag noch nicht. Erfahrungsgemäß liegen zwischen Verhandlung und Urteilsverkündung in Karlsruhe einige Monate.
smb/cfm