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Bundesregierung will 1553 Flüchtlinge von Griechenland nach Deutschland bringen

Koalition erzielt Einigung im Streit um Flüchtlingsaufnahme

Die Bundesregierung will weiteren 1553 Flüchtlingen von den griechischen Inseln Schutz in Deutschland bieten. Von der Hilfsmaßnahme nach dem Großbrand im Lager Moria sollen insgesamt 408 Familien profitieren, die bereits von griechischen Behörden als schutzberechtigt anerkannt wurden, wie Regierungssprecher Steffen Seibert am Dienstag in Berlin mitteilte. Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) bezeichnete das Aufnahmeprogramm als "eigenständigen Beitrag" Deutschlands, der einer angestrebten europäischen Einigung vorausgehen solle.

Der nächste Schritt sei dann eine europäische Vereinbarung zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge - auch daran wolle sich Deutschland beteiligen, sagte Scholz. Er wertete die Einigung mit dem Koalitionspartner Union als Erfolg seiner Partei: Deren Forderung nach einer schnellen Aufnahme von Flüchtlingen sei nun "Regierungsposition".

SPD-Chefin Saskia Esken hatte zunächst die Aufnahme von Flüchtlingen in einer "hohen vierstelligen Zahl" gefordert. Dagegen gab es aber Widerstand in der Union. Mehrere Vertreter von CDU/CSU ihrerseits hatten die Aufnahme zunächst davon abhängig gemacht, dass die Aufnahme nicht in einem deutschen Alleingang erfolgen dürfe, sondern auf europäischer Ebene.

Scholz bezeichnete die Koalitionseinigung als "großen riesigen Fortschritt". Sie solle Griechenland in der konkreten Situation Linderung bringen. SPD-Chefin Esken kündigte an, Deutschland werde auch bei einem zukünftigen europäischen Aufnahmeprogramm "einen solidarischen Beitrag leisten".

Über die nun anvisierte Aufnahme hinaus werde sich die Bundesregierung "für eine weitergehende europäische Lösung mit anderen aufnahmebereiten Mitgliedsstaaten" einsetzen, erklärte Regierungssprecher Seibert. "Im Kontext einer solchen europäischen Lösung würde sich Deutschland zusätzlich in einem angemessenen Umfang entsprechend der Größe unseres Landes beteiligen."

Grundlage des Regierungsbeschlusses war eine Einigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Sie hatten für die geplante Aufnahme eine Größenordnung von rund 1500 Flüchtlingen ins Auge gefasst. Union und SPD führten darüber im Tagesverlauf intensive Gespräche, ehe die SPD die Einigung verkündete.

Skeptische Stimmen zum Vorstoß der Kanzlerin und des Innenministers kamen aus der Union. Das Signal dürfe nicht sein, "wenn jetzt ein Flüchtlingslager brennt, dann kommt ihr alle nach Europa", sagte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) in einem "Wir"-Interview vor Bekanntwerden der Einigung.

Grüne und Linke kritisierten den Merkel-Seehofer-Vorstoß zur Aufnahme von 1500 weiteren Flüchtlingen als unzureichend. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sprach von einem "Alibi-Angebot". Sie verwies darauf, dass allein auf der griechischen Insel Lesbos "über 4000 Kinder mit ihren Familien unter menschenunwürdigen Bedingungen" lebten.

Die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke kritisierte das Vorhaben als "billiges Täuschungsmanöver". Sie bekräftigte die Forderung nach einer Evakuierung aller Migranten aus Moria.

Auch von der AfD kam Kritik: Ihr Fraktionschef Alexander Gauland wertete die Aufnahme von Flüchtlingen von den griechischen Inseln generell als falsch. Sie wäre ein "fatales Signal" an die Flüchtlinge: "Wenn Ihr nach Deutschland wollt, müsst Ihr nur Euer eigenes Lager anzünden."

FDP-Chef Christian Lindner warnte vor einem "nationalen Alleingang" bei der Flüchtlingsaufnahme. Mit Blick auf den großen Flüchtlingszuzug von 2015 sagte er: "Die Fehler von 2015 dürfen sich nicht wiederholen." Besondere Priorität müsse nach dem Brand von Moria nun die "technische Hilfe vor Ort" haben.

Griechenlands größtes Flüchtlingslager Moria war in der vergangenen Woche durch mehrere Brände fast vollständig zerstört worden. Rund 11.500 Menschen wurden obdachlos, darunter 4000 Kinder. Tausende ehemalige Lagerbewohner, darunter auch Schwangere und Familien mit kleinen Kindern, harren seitdem im Freien aus.

by LOUISA GOULIAMAKI