Die Corona-Infektionszahlen in Deutschland steigen weiter rapide - und die Bundesregierung appelliert an die Bürger, die Lage ernst zu nehmen. Deutschland stehe "am Beginn einer wirklich großen zweiten Welle", und diese "müssen wir jetzt unterbrechen", sagte Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) am Freitag den Sendern RTL und n-tv. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mahnte die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln an. "Wir wissen, wie es geht. Wir müssen es nur tun."
Das Robert-Koch-Instituts (RKI) hatte am Freitagmorgen einen neuen Rekordwert bei den Neuinfektionen gemeldet. Demnach wurden binnen eines Tages 7334 neue Ansteckungsfälle von den Gesundheitsämtern mitgeteilt. Dies waren nochmal knapp 700 Fälle mehr als am Tag davor. Bereits die am Donnerstag registrierten 6638 Neuinfektionen waren bis dahin der höchste Wert seit Pandemie-Beginn gewesen.
"Wir erwarten nicht, dass die Zahlen morgen geringer werden, sondern dass sie weiter steigen", sagte dazu Braun. Die Lage sei derzeit "deutlich ernster" als während der ersten Corona-Welle im Frühjahr. "Jetzt merken wir, dass wir gerade in einem steilen Anstieg sind."
Wie hoch die Zahlen noch stiegen, hänge von den Maßnahmen ab, die nun ergriffen würden, mahnte Braun. "Wir müssen jetzt sehr entschieden handeln, weil sonst steigen sie immer weiter."
Auch Spahn sagte in Berlin, Deutschland sei "in einer ernsten Lage". Er forderte eine kluge Prioritätensetzung. Die meisten Menschen wollten, dass Schulen und Kitas offen blieben, das wirtschaftliche Leben weitergehe und die öffentliche Verwaltung arbeite. Andere Dinge müssten dahinter zurückstehen. Vielen Menschen seien zwar "Geselligkeit und Feiern" wichtig, aber wichtiger sei ihnen letztlich doch "Kita besuchen " und "Job haben".
Die von RKI-Chef Lothar Wieler ins Gespräch gebrachte Abriegelung von Gebieten mit hohen Corona-Infektionszahlen hält die Bundesregierung grundsätzlich für ein mögliches Mittel im Kampf gegen die Pandemie. "Die Beschränkungen von Ein- und Ausreisen kann rein epidemologisch gesehen eine Möglichkeit sein, um eine Verbreitung des Virus zu verhindern", sagte Vize-Regierungssprecherin Martina Fietz in Berlin.
Von konkreten Plänen in diese Richtung konnte Fietz aber nicht berichten. "Unser Ziel ist es, so viel wie möglich vom öffentlichen und privaten Leben aufrecht zu erhalten."
Unterdessen kippen vielerorts die erst kürzlich eingeführten neuen Beschränkungen zur Eindämmung der Pandemie. In Berlin gab das Verwaltungsgericht am Freitag im Eilverfahren elf Gastronomiebetrieben Recht, die sich gegen die neue Sperrstunde wehrten.
Auch das von vielen Bundesländern verhängte Beherbergungsverbot für Reisende aus deutschen Corona-Hotspots bröckelt weiter. Nach mehreren Gerichtsentscheidungen gegen derartige Regelungen und der Kehrtwende einiger Bundesländer entschied die bayerische Landesregierung am Freitag, die am gleichen Tag auslaufende Vorschrift nicht zu verlängern.
Die hessische Landesregierung will am Montag über eine Abschaffung des Beherbergungsverbots entscheiden. In Schleswig-Holstein hingegen wies das Oberverwaltungsgericht einen Eilantrag gegen die dortige Regelung ab. Ebenso entschied am Freitag das Hamburger Verwaltungsgericht.
Spahn sagte, das Beherbergungsverbot und insbesondere der föderale Flickenteppich träfen auf weit geringere Zustimmung in der Bevölkerung als viele andere Corona-Maßnahmen. "Ich habe den Eindruck, wir kommen zu einer Einheitlichkeit, die bedeutet: so gut wie kein Beherbergungsverbot", sagte er voraus. Trotzdem sollten vermeidbare Reisen unterlassen werden.
Linke-Chef Bernd Riexinger forderte ein koordiniertes Aus für die Beherbergungsverbote. Diese hätten "kaum etwas zum Infektionsschutz beigetragen und das Leben der Menschen unverhältnismäßig eingeschränkt", erklärte er. "Die Innenminister sollten Klarheit schaffen und Beherbergungsverbote deutschlandweit abschaffen."
by Ina FASSBENDER