Aus ganz Deutschland ausgeloste Menschen beraten in den kommenden Wochen in einem bundesweiten Bürgerrat über Deutschlands Rolle in der Welt. Auf zehn Online-Veranstaltungen erarbeiten die 160 Ausgelosten Empfehlungen, wie das Land auf der weltpolitischen Bühne auftreten solle, teilten die Organisatoren des unter Schirmherrschaft von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) stehenden Projekts am Mittwoch mit. Schäuble sagte, er sei sicher, "dass ein Bürgergutachten unsere parlamentarische Arbeit befruchten kann".
Die Empfehlungen des Bürgerrates sollen am 19. März dem Bundestag überreicht werden. Schäuble verwies darauf, dass der Ältestenrat des Parlaments einen Bürgerrat zu dem Thema vorgeschlagen hatte. Das Format der "aufsuchenden Beteiligung" biete die Chance, außen- und sicherheitspolitische Aspekte differenziert zu betrachten und Interesse gerade auch bei Jüngeren zu wecken, sagte der Bundestagspräsident.
Es gehe bei dem Thema auch darum, nach Auslandseinsätzen zu fragen und die moralischen Kosten für die Verteidigung der Grundwerte zu benennen, sagte Schäuble. Es sei nicht ausgeschlossen, dass im Parlament mehrheitlich eine andere Entscheidung getroffen werde, als der Bürgerrat empfiehlt, sagte er weiter. Das Bürgervotum werde die Verantwortlichen aber "zu einer vertieften Begründung ihrer Entscheidung zwingen".
In einem per Los zusammengesetzten Bürgerrat "trifft sich das ganze Land an einem Tisch", sagte Claudine Nierth, Vorstandssprecherin des Vereins Mehr Demokratie, der das Projekt organisiert. "Der Querschnitt der Bevölkerung kommt zusammen." Die Teilnehmer wurden aus den Einwohnermelderegistern per Zufallsgenerator gelost, "die jüngste ist 16, der älteste ist 90 Jahre alt". Die Auswahl erfolgte nach den Kriterien Alter, Geschlecht, Bildungsabschluss, Wohnort sowie Wohnortgröße und Migrationshintergrund. Die Zusammensetzung entspreche "ziemlich genau der Bevölkerung in Deutschland".
Nierth verwies darauf, dass die Fragestellung "Deutschlands Rolle in der Welt" aus dem Bundestag komme. Es sei "bemerkenswert", dass sich alle Fraktionen für das Thema ausgesprochen hätten. In die Vorbereitung des Bürgerrats seien Abgeordnete aller Fraktionen aktiv eingebunden gewesen.
Der Bürgerrat wird an zehn Terminen insgesamt 42 Stunden online tagen, den Vorsitz hat die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Marianne Birthler. Es gibt fünf Themenbereiche: Nachhaltige Entwicklung, Wirtschaft und Handel, EU-Außenpolitik, Frieden und Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Über 30 Experten sind geladen, zu jedem Thema gibt es laut Nierth mindestens eine Pro- und eine Contra-Perspektive.
Birthler sagte, der Bürgerrat verbinde idealerweise "nicht nur Bevölkerung und Politik, sondern auch Menschen unterschiedlicher Generationen, Herkünfte, Berufe oder Lebensweisen, die miteinander sonst selten ins Gespräch kommen". Die Politik profitiere "hoffentlich von einem neuen Blickwinkel".
Bürgerräte gibt es bereits in einigen europäischen Ländern. In Frankreich etwa hatte Präsident Emmanuel Macron mehrere solcher Gremien zu verschiedenen Themen als Reaktion auf die "Gelbwesten"-Proteste 2018 und 2019 und die Forderungen nach mehr direkter Demokratie einberufen.
In Deutschland gab es im vergangenen Jahr bereits einen "Bürgerrat Demokratie", der Empfehlungen zur Weiterentwicklung des demokratischen Systems machte.
by Odd ANDERSEN