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Brüssel setzt bei EU-Asylreform auf mehr Abschiebungen

Hilfsorganisationen fürchten Massenlager an den Grenzen und Rechtsverletzungen

Die EU-Kommission will mit schnellen Asylverfahren an den Außengrenzen und mehr Abschiebungen die Blockade bei der Reform der europäischen Flüchtlingspolitik auflösen. Mitgliedstaaten sind nach den am Mittwoch vorgestellten Vorschlägen nicht verpflichtet, Flüchtlinge zur Entlastung anderer EU-Länder aufzunehmen, sondern können statt dessen bei Abschiebungen helfen. Hilfsorganisationen warnten vor Massenlagern an den EU-Außengrenzen und der Aushebelung von Flüchtlingsrechten.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen appellierte an die Mitgliedstaaten, die Asylreform zu ermöglichen. Es sei nun Zeit für alle zu handeln, sagte sie und verwies auf den Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos. Europa könne nicht mehr mit Notlösungen arbeiten. Es brauche einen "Neustart" und dauerhafte Lösungen.

Seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise von 2015 sind immer wieder Versuche gescheitert, Europas Asylsystem zu reformieren. Knackpunkt war immer die Verteilung von Flüchtlingen auf die anderen EU-Staaten, um Ankunftsländer wie Italien oder Griechenland an den Außengrenzen zu entlasten. Osteuropäische Staaten wie Ungarn und Polen weigerten sich kategorisch, Migranten aufzunehmen.

Noch vor der Vorstellung der Kommissionspläne bezeichnete der österreichische Kanzler Sebastian Kurz Pläne für die Verteilung von Flüchtlingen als "gescheitert". "Das lehnen so viele Staaten ab. Das wird auch nicht funktionieren", sagte er der Nachrichtenagentur AFP.

Der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) kritisierte diese Haltung. "Ich würde jetzt allen raten, nicht schon gleich wieder Vetos einzulegen und Blockaden aufzubauen", sagte er im Deutschlandfunk. "Man kann sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen."

Die Kommission bietet EU-Ländern, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, nun als Alternative die Übernahme von "Rückführungs-Patenschaften" an. Sie können demnach für die Abschiebung abgelehnter Bewerber aus den Ankunftsländern sorgen. Gelingt ihnen das nach acht Monaten nicht, müssen sie die Migranten aber fortan bei sich unterbringen.

Innenkommissarin Ylva Johansson wies zurück, dass die Kommission mit der Abschiebe-Option gegenüber den Aufnahmeverweigerern eingeknickt sei. Es sei bisher "eines der großen Defizite" des EU-Asylsystems, "dass wir bei Rückführungen nicht gut genug sind", sagte sie. Die EU will deshalb auch einen "Rückführungskoordinator" ernennen, um Mitgliedstaaten bei Abschiebungen zu unterstützen.

Kern des Kommissionsvorschlags ist auch eine neue Bestimmung der Zuständigkeit für ankommende Asylbewerber. Nach den bisher geltenden Dublin-Regeln war das Land zuständig, in dem ein Flüchtling zuerst europäischen Boden betritt. Dies führte in der Flüchtlingskrise zur vollkommenen Überlastung von Ländern an den Außengrenzen.

"Wir ziehen einen Strich unter die Dublin-Architektur", sagte Vize-Kommissionspräsident Margaritis Schinas. Dublin soll demnach abgeschafft und durch eine neue Gesetzgebung ersetzt werden.

Dabei bleibt es laut Johansson für die Bestimmung der Zuständigkeit bei dem Grundsatz des Erstankunftslandes, es gibt aber andere Kriterien. Wenn Flüchtlinge enge Familienbeziehungen in anderen EU-Länder hätten oder dort schon studiert oder gearbeitet hätten, sollten sie in diese Länder gebracht werden, sagte sie. Auch wer ein Visum habe, müsse seinen Asylantrag in dem Land stellen, wo dieses erteilt wurde.

"Das ist eine große Veränderung", sagte Johansson. "Es wird mehr Menschen geben, die auf andere Mitgliedstaaten verteilt werden."

Für Migranten aus Ländern mit geringen Asylanerkennungsraten von unter 20 Prozent soll es zudem beschleunigte Asylverfahren direkt an der Grenze geben. Ein "unabhängiger" Kontrollmechanismus soll laut Johansson sicherstellen, dass auch ihre Grundrechte beachtet werden.

Die Organisation Pro Asyl fürchtet aber, dass nun "Massenlager" an den EU-Grenzen entstehen, wo es "keine fairen rechtsstaatlichen Asylverfahren" mehr geben könne. Auch die Caritas sah Grund- und Menschenrechte von Asylsuchenden in Gefahr.

Die Kommissionspläne sehen unterdessen auch mehr legale Einwanderungsmöglichkeiten vor. Dazu soll es "Talent-Partnerschaften" mit Drittstaaten geben, über die in der EU gebrauchte Arbeitskräfte einwandern können.

by Von Martin TRAUTH