Ein Vorstoß aus der Union zur Abschaffung des Individualrechts auf Asyl in der EU ist auf breite Kritik gestoßen. Vertreter der Ampel-Koalition, der Linkspartei und die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl lehnten die Pläne am Dienstag kategorisch ab.
Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) hatte in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Dienstagausgabe) statt des Individualrechts auf Asyl eine "Institutsgarantie" gefordert. Eine Antragstellung auf europäischem Boden wäre demnach dann nicht mehr möglich und der Bezug von Sozialleistungen "umfassend ausgeschlossen". Frei schlug vor, stattdessen könne die EU pro Jahr ein Kontingent von 300.000 bis 400.000 Schutzbedürftigen direkt aus dem Ausland aufnehmen.
Frei begründete den Vorstoß mit der geltenden Voraussetzung, dass Asyl auf europäischem Boden beantragt werden muss. Dies führe zu einer Praxis, die "zutiefst inhuman" sei, schrieb er. Denn von ihr profitierten die Starken, die es nach Europa schafften. "Wer zu alt, zu schwach, zu arm oder zu krank ist, ist chancenlos." Frauen und Kinder seien damit "oft faktisch ausgeschlossen".
Mit der Institutsgarantie könne Europa dagegen "sehr genau dort helfen, wo Staaten durch große Flüchtlingsströme destabilisiert werden", schrieb Frei. Zudem könnten Sicherheitsrisiken minimiert und Chancen für Integration maximiert werden.
Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn (CDU) unterstützte den Vorstoß. Er sei "ein wichtiger Beitrag", schrieb er auf Twitter. "Wir müssen neu denken. Seit Jahren gelingt es nicht, irreguläre Migration zu begrenzen".
Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), bezeichnete die Pläne hingegen als "brandgefährlich". "Bisher wurde die Forderung nach Abschaffung des Rechts auf Asyl in der Bundesrepublik nur von Rechtsextremen vertreten“, sagte er der "Augsburger Allgemeinen" (Mittwochausgabe). Freis Vorstoß mache solch radikale Positionen salonfähig und nutze nur der AfD.
Auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wies den Vorschlag zurück. "Nach ihrer katastrophalen Flüchtlingspolitik von 2015 ist die CDU derzeit offenbar auf der Suche nach einem Kurs in der Migrationsdebatte", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Liberale forderte die CDU auf, stattdessen die laufende Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems "mit Ernsthaftigkeit" zu unterstützen.
"Der Vorschlag von Thorsten Frei ist realitätsfremd und geht ins Leere", erklärte der stellvertretenden Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese. "Wer sollte in Bürgerkriegsländern unter welchen Bedingung über das Kontingent entscheiden? Zudem macht sich nicht ein Mensch weniger auf den Weg, der sich in einer Notlage befindet."
Frei lege "die Axt an den internationalen Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz", sagte Pro-Asyl-Sprecher Karl Kopp der Nachrichtenagentur AFP. Derartige "Ausstiegskonzepte aus dem bestehenden Völkerrecht" sendeten "ein fatales Signal in die Welt". Es sei "bitter, dass die Union damit die Positionen der Rechtsextremen und Europafeinde übernimmt."
Die Vorstellung Freis, durch die vorgeschlagenen Änderungen das Leid und das Sterben an den EU-Außengrenzen beenden zu können, sei "realitätsfern und verlogen", sagte Kopp. Menschen würden immer fliehen, "wenn ihr Leben von Bomben, Todesstrafe oder Folter bedroht ist". Im Zweifel würden sie sich dann "nur auf noch gefährlichere Routen" begeben.
Die Genfer Flüchtlingskonvention mit dem Individualrecht auf Asyl sei "eine direkte Folge aus dem Versagen der internationalen Staatengemeinschaft angesichts der Verbrechen im Nationalsozialismus und der Shoah" gewesen, erklärte die fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Clara Bünger. Freis Vorstoß sei "geschichtsvergessen" und offenbare, "wie weit seine Partei sich nach rechts bewegt hat."
mt/pw